Rezension

Trauer ist nicht gleich Trauer

Alles, was noch vor uns liegt -

Alles, was noch vor uns liegt
von Lindsay Harrel

Bewertet mit 4 Sternen

„...Aber Künstler müssen ihre Inspiration aus den Tiefen ihrer Seele ziehen – und meine ist leer. Völlig ausgetrocknet. Als ich Brent kennenlernte, war es so, als hätte ich die andere Hälfte meiner Seele getroffen...“

 

Diese Worte von Eva zu ihrer Freundin Kim zeigen ihre tiefe Trauer. Seit Brents Tod fehlen ihr für ihre Arbeit als Floristin die Einfälle. Da sie finanziell abgesichert ist und nicht arbeiten muss, engagiert sie sich in der Herzstiftung. Die hat Brent einst unterstützt. Doch Büroarbeit gehört nicht zu Evas besonderen Begabungen.

Auch Angela, Evas Schwägerin, trauert um ihren Mann Wes. Sie aber macht ihn in Gedanken Vorwürfe, dass er das gemeinsame Leben mit seinem Leichtsinn aufs Spiel gesetzt hat. Angela muss sich um ihre drei Kinder kümmern und braucht jeden Job, den sie bekommen kann.

Die Autorin hat einen berührenden Roman geschrieben. Es geht um Trauerbewältigung, aber nicht nur darum.

Als Eva erfährt, dass sich Brent, Wes und Marc zu einem Ultra-Marathon in Neuseeland angemeldet hatten, beschließt sie, an Brents Stelle zu laufen. Sie überredet Angela, Wes Stelle einzunehmen.

Der Schriftstil lässt sich flott lesen. Ich darf die Protagonisten nach Neuseeland begleiten, ihre Vorbereitung auf den Lauf begleiten und erleben, wie sie der Marathon an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringt. Doch das ist nur das äußere Bild des Romans. Wesentlich wichtiger sind die vielen intensiven Gespräche, die in dieser Zeit geführt werden. Angela ist dabei diejenige, die sich lange verschließt.

Mit auf der Reise ist Sherry, die Schwiegermutter der beiden. Obwohl sie gleich zwei Söhne verloren hat, wirkt sich auf mich ausgeglichen. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie sich eine Auszeit genommen. Ihre Erfahrung vermittelt sie den Schwiegertöchtern:

 

„...Ich kam als anderer Mensch zurück. Denn ich habe dort Gott auf eine Weise erfahren, die ich nicht erwartet hatte...“

 

Glaubensfragen sind allerdings weder für Eva noch für Angela ein Thema. Zu sehr sind sie noch verstrickt in ihren Gedanken an den Verlust.

Angela hat Probleme mit ihrer pubertierenden Tochter Kylee. Eva aber findet einen Zugang zu dem Mädchen.

 

„...Meinst du, du könntest nicht ganz so streng mit deiner Mutter sein, weil sie dich hierher geschleppt hat?...“

 

Die Monate vor dem Lauf verändern die Protagonisten innerlich. Sie haben jetzt Zeit und Gelegenheit, sich mit ihrer Trauer auseinanderzusetzen.

Und plötzlich steht die Frage, ob eine neue Bindung möglich ist, vor ihnen. Angela lernt den Journalisten Simon kennen, der sehr behutsam um sie wirbt. Und Eva muss erkennen, dass Marc, der beste Freund von Brent, ihr nicht gleichgültig ist.

Jetzt sind beide auch für neue Gespräche aufgeschlossen. Sherry erklärt Eva:

 

„...Freude ist nicht von dir abhängig oder von den guten Dingen im Leben, zum Beispiel von einem wundervollen Ehemann. Sie ist von Gott abhängig und davon, ob du mit ihm im Reinen bist...“

 

Die wichtigsten Entscheidungen fallen nicht in Neuseeland. Sie fallen Monate später.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen.