Rezension

Trilogieabschluss mit leichten Schwächen

Spiegel unseres Schmerzes - Pierre Lemaitre

Spiegel unseres Schmerzes
von Pierre Lemaitre

Bewertet mit 4.5 Sternen

1940 Frankreich. Der Zweite Weltkrieg ist zwar in vollem Gange, doch in Paris und dem Rest des Landes merkt man davon nichts, obwohl Frankreich gemeinsam mit Großbritannien Deutschland den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen hat. Die Franzosen wiegen sich in Sicherheit, auch die Lehrerin Louise Belmont, die aushilfsweise im Monsieur Jules‘ Restaurant „La Petit Bohéme“ am Montmartre bedient. Als die Deutschen Paris mit ihrem Einmarsch überraschen und die Stadt im Handumdrehen übernehmen, ändert sich das Leben der Franzosen schlagartig, auch das von Louise Belmont…

Pierre Lemaitre hat mit „Spiegel unseres Schmerzes“ den Abschlussband seiner historischen Trilogie vorgelegt, der sicher erneut mit Frankreich und der Zeit zwischen den Kriegen beschäftigt. Der detailreiche, anspruchsvolle und leicht ironische Erzählstil erlaubt dem Leser eine Zeitreise in die Vergangenheit, um dort nicht nur den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Paris mitzuerleben, er wird gemeinsam mit Louise auch hautnah Zeuge eines Selbstmordes mitten im Restaurant und deren Flucht aus Paris. In einem weiteren Handlungsstrang hält sich der Leser an der Maginot-Linie auf, wo sich Louises Bruder Raoul mit viel Einfallsreichtum und Geschäftssinn als Schieber verdingt und dadurch nicht nur an Einfluss gewinnt, sondern praktisch in dem ganzen Drama wie ein Kriegsgewinnler erscheint. Das Frontgeschehen sowie die Handlungen im Militärgeschehen werden sehr bildhaft geschildert, doch es dauert eine ganze Weile, bis der Leser langsam die Zusammenhänge der Perspektivwechsel erkennt und nach und nach die Puzzleteile zusammensetzen kann. Detailverliebt und recht ausschweifend zeichnet Lemaitre seine Handlung gleich einem Gemälde, nur fehlen dieser der gewisse Pepp und die Spannung, die seinen beiden Vorgängerbänden zu Eigen war. Grundsätzlich aber verfehlt der Autor auch diesmal nicht sein Ziel, dem Leser mit seiner Geschichte die damalige Atmosphäre und genug Stoff zum Nachdenken zu vermitteln und gleichzeitig das Kopfkino anzuwerfen.

Detailliert und mit eigenen Persönlichkeiten ausgestaltete Charaktere erscheinen lebendig und authentisch vor dem inneren Auge des Lesers, der ihre jeweiligen Schicksalswege verfolgt, bis sie sich am Ende zu einem vollständigen Bild zusammensetzen. Louise wirkt zu Beginn noch sorglos und selbstsicher, doch ändert sich das schlagartig, bringt Unsicherheit und Ängstlichkeit hervor. Doch unterschwellig wächst eine Stärke in ihr heran, die sie geradezu zur Heldin mutieren lässt. Raoul ist ein Schlitzohr, der den Krieg für seine Zwecke zu nutzen weiß. Aber auch Monsieur Jules, Gabriel, Dr. Thirion und Louises Mutter Jeanne besetzen wichtige Rollen in Lemaitres letztem Akt.

„Spiegel unseres Schmerzes“ rundet mit einer komplexen in sich verwobenen Geschichte die Zwischenkriegs-Trilogie ab, wobei dieser Roman an den beiden Vorgängern in punkto Spannung und ironischem Witz  nicht herankommt. Trotz allem lohnt sich die Lektüre, die eine Leseempfehlung verdient hat!