Rezension

Überambitionierte Sprache überlagert das Erzählte.

Heimaterde - Lucas Vogelsang

Heimaterde
von Lucas Vogelsang

Bewertet mit 3 Sternen

Hat mir nicht so gut gefallen, wie erhofft. Denn es stellt sich die Frage, wie das Verhältnis zwischen Form und Inhalt sein sollte. Aber lest selber.

Kann man eine neue Heimat gewinnen, wenn man zugewandert ist, d.i. seine ursprüngliche Heimat verlassen hat oder verlassen musste? Haben nur seit Generationen Ansässige Deutschland als Heimat und die „echten Heimatgefühle“?

Eine Reise durch Deutschland habe ich anders vorgefunden im Buch als ich es mir vorstellte. Die Reise geht von Berlin aus und sieht immer ein wenig durch die Berliner Brille. Vororte werden per se schlechtgemacht. Sie eignen sich wohl nicht für eine „richtige Heimat“. (Doch, gerade!). Lucas Vogelsang zeigt elf kurze Biografien auf, elf kurze Geschichten von Migration und Integration. Die interessant sind. Durchaus. Aber oft in Kunstsätzen an die Frau gebracht werden. Nun mag Frau ja Kunst. Grundsätzlich. Eigentlich. Aber nicht, wenn die Kunst die Geschichte überlagert. Und so ist die Sprache des Autors auf der einen Seite das Kunstfertige, auch das Moderne am Buch ("Heimat ist auf eine Karte gemalte Hybris"), andererseits aber auch ein Störfaktor, der verhindert, dass der Leser einen gefühlsmäßigen Zugang zu den vorgestellten Personen gewinnt. Soll das so sein? Warum so viel Distanz? Es ist Sprache, die den Lesefluss stört, die keinen geschmeidigen, sondern einen zerhackten Text liefert.

Die abgebildeten Personen haben es mehr oder weniger geschafft, haben sich in der zweiten oder dritten Generation integriert und irgendwie ihren individuellen Heimatbegriff definiert. Aber das Gefühl, die kulturelle Rückkopplung fehlt. Natürlich. Natürlich? Noch oder für immer?

Sehr interessant fand ich das Kapitel, das sich damit beschäftigte, wo jemand begraben sein möchte, in der neuen oder in der alten Heimat(erde). Die wirklich schwierigen Fragen, wie lange ein mentales Rückfahrtticket in der Tasche behalten wird, wie der Autor es formuliert, werden jedoch nur gestreift. Der Fokus liegt ganz auf der Unterschiedlichkeit der Schicksale. Insoweit ist das ganz in Ordnung. Doch der Trommelwirbel, den der Autor um seine Formulierungskunst macht, erstickt die Geschichten und lässt nur eine Persönlichkeit so richtig aufscheinen: seine. Schade, denn es ist der Ton, der die Musik macht und in dieser Musik ist mir eindeutig zu viel Triangel. Die Lesbarkeit leidet draunter. Der Ton ist zu grell. Die Moral von der Geschicht: Wer zu verliebt in seine Sprachgewandtheit ist, langweilt am Ende!

Fazit: Interessante Geschichten, die ich insgesamt ganz gerne mochte, der  überambitionierte Sprachklang hätte mir sogar gefallen, wenn er wesentlich moderater verwandt worden wäre!

Kategorie: Kurzbiographien /Sachbuch
Aufbauverlag 2017

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 06. Mai 2017 um 09:28

"Lucas Vogelsang zeigt elf kurze Biografien auf, elf kurze Geschichten von Migration und Integration. Die interessant sind. Durchaus. Aber oft in Kunstsätzen an die Frau gebracht werden. Nun mag Frau ja Kunst. Grundsätzlich. Eigentlich. Aber nicht, wenn die Kunst die Geschichte überlagert." 

Wieder eine sehr schön geschriebene Rezension! Aber das Buch muss ich wohl eher nicht lesen- Sätze wie den mit der Hybris brauche ich nicht häufig.

wandagreen kommentierte am 07. Mai 2017 um 08:39

"Nun klettern seine Blicke Fassaden." Kostproben findest du quasi in jeder Zeile. Das ist durchaus geistreich. Aber einfach zuviel, zuviel, zuviel.