Rezension

(Über)Leben

Ich lebe noch - Kate Alice Marshall

Ich lebe noch
von Kate Alice Marshall

Bewertet mit 4 Sternen

Jess Cooper ist sechzehn Jahre alt als ihre Mutter bei einem Unfall stirbt und sie selbst schwer verletzt wird. Ihren Vater kennt sie zwar kaum, doch erhält er das Sorgerecht und so bricht sie auf nach Alaska, seinem vermeintlichen Wohnort, um ihn zu treffen. Doch Carl lebt völlig zurückgezogen tief in den kanadischen Wäldern, nur erreichbar mit einem Sportflugzeug. Das Mädchen ist schockiert, versucht aber, sich mit der Situation zu arrangieren. Vater und Tochter nähren sich langsam an, Carl möchte Jess auf das raue Leben in der Wildnis vorbereiten, bringt ihr Jagen, Feuermachen und das Ausnehmen von Tieren bei. Immer dabei ist der große, wolfsähnliche Hund Bo, den Jess sehr schnell ins Herz schließt.
Doch eines Tages tauchen Männer bei der Hütte auf, Carl ist besorgt und hält Jess an, sich mit Bo zu verstecken. Aus ihrem Versteck heraus muss sie mit ansehen wie die Männer ihren Vater kaltblütig ermorden und die Hütte niederbrennen. Völlig schutzlos, ohne Nahrung und eine Möglichkeit Hilfe zu holen, ist Jess nun auf sich allein gestellt. Der Winter naht und nur Bo steht ihr zur Seite, doch Jess will nicht aufgeben und nimmt den ungleichen Kampf ums Überleben auf.

Leseeindruck

»Ich lebe noch« (OT: I Am Still Alive) erschien in der Reihe »Festa Must Read« und da passt dieser Titel meiner Meinung nach auch hervorragend hinein. Der als Thriller bezeichnete Roman bietet spannende Unterhaltung, die sowohl durch ruhige, intensive Erzählmomente, als auch durch nervenaufreibende Actionszenen getragen wird. Der Schreibstil ist dabei flüssig, einfach und so absolut passend auf die junge Protagonistin zugeschnitten.

Marshall gelingt es, das Gefühlsleben und die Entwicklung des Teenagers, der sehr schnell erwachsen werden muss, glaubhaft und nachvollziehbar zu transportieren. Der Leser kämpft, verzweifelt und hofft gemeinsam mit Jess. Das baut Nähe und Sympathie auf, was es umso einfacher macht, tief in die Geschichte einzutauchen. Bo als Gefährte und Stütze gibt Jess seelischen Halt, symbolisiert Freundschaft sowie Treue, stellt aber auch die Schnittstelle zwischen der rauen, ursprünglichen, gnadenlosen Natur und der ihr nicht angepassten Menschen dar.

»(…) Mein Wald umgibt mich, ein Königreich, das ich begreife. Ein Ort, der mich nicht liebt und den ich nicht liebe. Aber wir erwarten keine Liebe voneinander, die Wildnis und ich. Wir wollen nur überleben.«

Da der Roman aus der Sicht der Protagonistin erzählt wird und diese größtenteils allein mit Bo ums Überleben kämpft, ist es die Schilderung der Innensicht, die über weite Strecken fesselt. Der Leser erfährt nach und nach mehr über Jess, ihre Eltern, warum es zur Trennung kam und auch, warum Carl zum Aussteiger wurde. Einem Puzzle gleich setzen sich die Einzelteile Stück für Stück zu einem großen Ganzen zusammen. Aber gerade im letzten Drittel zieht die Actionschraube dann kräftig an, gerade hier fällt es nun auch schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Die Ereignisse überschlagen sich förmlich. Für mich gab es ab und an ein paar nicht ganz nachvollziehbare Handlungsweisen und/oder Zusammenhänge aber insgesamt war die Geschichte final rund.

Fazit

Ein (Festa) Must Read für alle die, die einem harten und spannend geschilderten Überlebenskampf in der Natur beiwohnen, dabei aber gemütlich eingekuschelt vorm Kamin sitzen möchten. Eingebettet ist das Ganze in einer actionreichen Rahmenhandlung, gewürzt mit eingängigen, nachdenklich stimmenden Gedanken eines jungen Mädchens, das wachsen und sich dem wohl schwierigsten Kampf ihres bisherigen Daseins stellen muss: Dem Kampf ums (Über)Leben.

»Man könnte meinen, die Hoffnung aufzugeben würde Verzweiflung nahelegen, aber ich fühle mich leicht. Hoffnung lenkt nur ab. Sie lässt einen über Dinge nachdenken, die passieren könnten, damit man gerettet wird, anstatt über das nachzudenken, was direkt vor einem liegt.«