Rezension

Unbequeme Lektüre

Giovannis Zimmer - James Baldwin

Giovannis Zimmer
von James Baldwin

Bewertet mit 5 Sternen

Im Paris der Fünfzigerjahre lernt David in einer Bar den attraktiven Giovanni kennen – und das entfacht in ihm einen Sturm des Verlangens, der seinen heteronormativen Lebensentwurf zerschmettert wie ein Kartenhaus. Er kann seine Gefühle nicht mehr unterdrücken, doch er kann sich auch nicht outen – und als seine Verlobte nach längerer Abwesenheit zurückkehrt, nimmt das Ganze eine fatale Wendung.

Die schwule Community, wie Baldin sie hier beschreibt, wirkt wie eine Versammlung grotesker Gestalten und widerwärtiger alter Männer, die jungen Schönlingen nachlechzen. Aber es wird auch überdeutlich, wo die Ursachen liegen: aus gesellschaftlichen Konflikt und offener Schwulenfeindlichkeit entsteht eine toxische Umgebung.

Das Verbot, die eigene Sexualität frei auszuleben. Die eingetrichterte Scham. Die Angst vor Verfolgung.

All das erschafft emotional verkrüppelte Individuen, die in blinder Hilflosigkeit um sich schlagen und die selbst erlittenen Wunden weitergeben. Selbstverachtung wird zu Verachtung wird zu Gewalt; Glück oder auch nur Zufriedenheit sind keine Option. Die Charaktere in Baldwins Roman spiegeln diese grundlegende Problematik perfekt wieder und wirken daher wie beunruhigende oder bemitleidenswerte Zerrbilder ihrer selbst.

Es gibt deutliche Parallelen zwischen Baldwins Leben und seinem Roman. Wie sein Protagonist zog auch Baldwin als junger Mann nach Paris und ging dort eine intensive homosexuelle Liebesbeziehung ein. Dennoch sollte man meines Erachtens Autor und Werk voneinander trennen – Charakterstimme muss nicht immer Autorenstimme sein.

So spricht Giovanni ganz selbstverständlich und ohne Schuldempfinden darüber, wie er selbst Frauen misshandelt, aber es wird meines Erachtens nie suggeriert, dass dies einen Spiegel von Baldwins persönlichen Ansichten darstellt. Eher zeigt Baldwin dem Leser auf, was für eine destruktive Kettenreaktion aus Vorurteilen und Unterdrückung entstehen kann.

Besonders Protagonist David ist für den Leser eine Herausforderung. Er entstammt einer lieblosen Familie und trägt diese emotionale Kälte weiter in jede Beziehung.

Ob das jetzt seine Verlobte ist, mit der er sich selber rücksichtslos beweisen will, noch ein echter Mann zu sein, oder eben Giovanni, der in David Gefühle weckt, die er nicht annehmen kann, und letztendlich den größtmöglichen Preis dafür zahlt. Man erfährt schon auf den ersten Seiten, dass Giovanni in der Todeszelle sitzt.

Man kann nicht mitfühlen mit David, weil er seine eigenen Gefühle pervertiert. Er betrachtet Schwule mit Verachtung, schmäht sie als ‘alte Tunten’ – und befürchtet doch insgeheim, in ihnen seine eigene Zukunft zu sehen. Was er sich wünscht, ist ein heterosexuelles Bilderbuchleben mit Frau, Kind und Reihenhaus, aber seine eigenen Gefühle und Gelüste stehen dem im Wege. Weil er sich selbst nicht annehmen kann, reißt er andere Menschen mit ins Verderben.

Dazu kommen die Unbilden der Zeit: Emanzipation stand bestenfalls in den Startlöchern, Chauvinismus und Bigotterie reichten sich die Hand. Baldin enttarnt die heile Welt des durchschnittlichen “white american” als Trugbild.

David quält sich selber und andere, weil er die Vorstellungen, was eine normale Sexualität ist, einfach übernimmt. Seine Verlobte verweigert sich ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen, weil sie das Frauenbild einfach übernimmt.

Ein wiederkehrendes Thema: der Mensch wird zu seinem eigenen ärgsten Feind, weil er sich nicht lösen kann von dem, was die Gesellschaft ihm (oder ihr) vorschreibt.

Und das ist meisterhaft geschrieben. Nicht nur inhaltlich baut Baldwin schnell und durchgehend eine enorme Sogkraft auf, auch sprachlich hat das Buch einiges zu bieten. Was für eine Sprachgewalt James Baldwin in diesem Buch entfaltet, was für eine mühelose brachiale Eleganz!

Fazit:

In den Fünzigerjahren: Davids Verlobte hat sich eine Auszeit genommen und ist nach Spanien gereist, um sich ihrer Gefühle klar zu werden. In ihrer Abwesenheit lernt David den Barkeeper Giovanni kennen – und kann seine homosexuellen Neigungen nicht mehr unterdrücken.

Liebe oder nur Lust? So oder so entwickeln die beiden Männer eine ungesunde Co-Abhängigkeit, weil David seine Sexualität nicht annimmt und Giovanni von einem Leben am Rande der Gesellschaft tief verwundet ist. Die Geschichte nimmt eine tragische Wendung, als Davids Verlobte zurückkehrt.

Dieser semi-autobiographische Roman, der bereits 1956 veröffentlicht wurde, ist keine leichte Kost für nebenher, aber die Lektüre lohnt sich. Er liest sich ungemein authentisch, und Baldwin zeigt eine schriftstellerische Meisterschaft, die alleine schon durch die Macht der Worte überzeugt.

Diese Rezension erschien zunächst auf meinem Buchblog:
https://wordpress.mikkaliest.de/rezension-james-baldwin-giovannis-zimmer/