Rezension

Sehr tragisch und fatal aber auch überzeugend

Giovannis Zimmer - James Baldwin

Giovannis Zimmer
von James Baldwin

Bewertet mit 4 Sternen

All die verlogenen kleinen Moralien

„Giovanni bildete sich gern ein, der Praktische von uns beiden zu sein und mir den steinigen Grund des Lebens vor Augen zu führen. Er brauchte dieses Gefühl: Denn im Grunde seines Herzens wusste er, ob er wollte oder nicht, dass ich ihm im tiefen Grunde meines Herzens, ob ich wollte oder nicht, mit aller Kraft widerstand.“

Inhalt

Giovanni und David lernen sich in einer Pariser Bar kennen, der eine arbeitet dort als der gutaussehende Barkeeper, der andere ist ein Gast, der Männern gegenüber nicht abgeneigt ist. Für David, dessen Freundin in Spanien eine längere Urlaubsreise unternimmt, um sich über den Status ihrer gemeinsamen Beziehung klar zu werden, eröffnet sich mit Giovannis Avancen eine Möglichkeit sich in einem anderen Menschen zu verlieren. Und obwohl er nicht eine Minute ernsthaft erwägt, sich als homosexueller Mann zu offenbaren, stürzt er sich mit allen Sinnen in eine Art Affäre, die ihn an seine persönlichen Grenzen führt. Doch es dauert gar nicht lange, bevor sich die tiefe Kluft zwischen den beiden Männern offenbart. Giovanni gibt alles, sein Herz, seine Leidenschaft, seine ganze Liebe für die wunderbaren Stunden in Davids Armen, während dieser sich immer verlorener fühlt, zwischen seinen eigenen moralischen Grundsätzen gefangen, die ihn einerseits die gesellschaftliche Anerkennung in ganz herkömmlichen Verhältnissen mit einer Frau und irgendwann auch Kindern vorgaukeln und andererseits die Erfüllung seiner sexuellen Vorlieben, im Bett mit Giovanni. Diese Perspektivlosigkeit der Beziehung verursacht durch die Schuldgefühle des Einen und die Konsequenzen des Anderen führen alsbald zum Bruch. Und als Hella, Davids Verlobte schließlich aus dem Urlaub zurückkehrt, um nun mit ihm eine feste Beziehung zu führen, nimmt er ihre Begeisterung für ein gemeinsames Leben dankbar an, scheint es doch die einzige Möglichkeit zu sein, all seinen kleinen verlogenen Moralien entgegenzuwirken …

Meinung

Der verstorbene amerikanische Autor James Baldwin, war eine Ikone der Gleichberechtigung aller Menschen, seine Bücher thematisieren Diskriminierung auf Grund der Hautfarbe ebenso wie hier auf Grund der sexuellen Orientierung. Und er greift in diesem Roman den tiefen inneren Zwiespalt einer Person auf, die einerseits die Wonnen der Liebe erfährt und einen Menschen gefunden hat, der so perfekt wie liebenswert erscheint und der dennoch diese Art von Beziehung nicht führen möchte, weil sie seinen eigenen gutbürgerlichen Status gefährden würde und sämtliche Inhalte, die er für gesellschaftskonform hält, untergräbt.

Die Homosexualität wirkt in dieser literarischen Abhandlung weniger dominant, als ich erwartet habe, dafür wiegt die Tragik und Melodramatik, die in einer unausgeglichenen Beziehung auftritt, umso mehr. Die Frage nach der Innerlichkeit und der Bejahung eines anderen Menschen ist hier schmerzhaft und äußerst differenziert behandelt wurden – ganz sicher ein großes Plus des Buches, denn eine Wertung, wer hier nun der bessere Mensch ist und warum, lässt sich nicht ohne Gegenargumente vertreten. Und gerade weil ich Giovannis absolute Liebe und Davids nachhaltige Zweifel verstehen konnte, fällt mir die persönliche Stellungnahme zu der Lektüre etwas schwer. Selbst in Anbetracht der Zeit, in der dieser Roman spielt, nämlich in den Fünfzigerjahren der Weltstadt Paris, ist diese tragische Liebesgeschichte universell und individuell gleichermaßen. Denn es gab sie ja auch damals, die Männer, die trotz ihres Rufs als „Tunte“ eben dieses Leben genossen haben und die anderen, die sich versteckt haben und am wenigsten gegenüber ihrem eigenen Spiegelbild zugeben wollten, wie sie wirklich fühlten.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für eine klassische, zeitlose Erzählung über die vielen Wege der Liebe und die fatalen Verstrickungen und die Fehlentscheidungen der Liebenden. Besonders positiv beurteile ich die tiefe Emotionalität, die dieser Roman hervorruft, das absolute Verständnis auf vielen Bewusstseinsebenen und das feinfühlige Ausloten der bestehenden Gefühle. Dadurch bekommt der Leser ein gutes, allumfassendes Gespür, für die Belange der Protagonisten. Selbst eine Wertschätzung der verschiedenen Charaktere bleibt in einem ausgewogenen Verhältnis, denn verstehen kann man beide Seiten und jeder hat seine Fehler und Schwächen. Die Frage der Schuld stellt sich hier nicht wirklich, es ist vielmehr eine Verkettung diverser Umstände, die letztlich in einem Höhepunkt der Dramatik ihr Ende finden. Für mich ein kleiner Minuspunkt in der Bewertung der Lektüre war einerseits das fehlende Frauenbild (Hella ist eine sehr blasse Figur) und anderseits eine klare Aussage. Die aussichtslose Entwicklung befindet sich hier im Detail und weniger als eine Botschaft für die Allgemeinheit. Schreibstil und Ausdruck lassen nichts zu wünschen übrig und es besteht die Möglichkeit dieses Buch zuzuklappen und noch länger über die Geschichte nachzudenken, ein ganz wesentlicher Pluspunkt auf meiner Bewertungsskala.