Rezension

Ungenutztes Potential

Ich bin ich - Micha Ela

Ich bin ich
von Micha Ela

Bewertet mit 2 Sternen

Michaelas Leben hätte das Potential für eine unheimlich interessante und umfangreiche Biografie gehabt. So viel ist passiert in ihrem Leben! Angefangen bei einer Kindheit bei Pflegeeltern mit Heim- und Klinikaufenthalten von zweifelhaftem Nutzen. Dann eine langjährige Karriere als Tänzerin. Das Kommen und Gehen der ersten Liebe und die schwierige Suche nach einem verlässlichen Partner. Das Erkennen ihrer Transsexualität und der Weg eine Frau zu werden. Und natürlich die HIV-Erkrankung mit ihren körperlichen und seelischen Folgen. Mit jedem einzelnen dieser Themen hätten andere ein ganzes Buch gefüllt. Deswegen fand ich es auch sehr schade, dass dieses so volle Leben auf nur 100 Seiten „abgefrühstückt“ wurde. Vielen Stellen luden geradezu dazu ein mehr zu erzählen. Wie hat es sich angefühlt, sich zum ersten mal optisch in eine Frau zu verwandeln? Wie waren die Hormonbehandlung und ihre Nebenwirkungen? Wie fühlt es sich an auf der Bühne zu stehen? Und wie ist der Konkurrenzkampf in der Branche der Abendunterhaltung? All das wurde jeweils in nur einem Satz oder Halbsatz erwähnt. Dabei hätte man Kapitel darüber schreiben können ohne zu langweilen. Andere total interessante und ergreifende Geschichten werden per Fußnote in den Anhang verbannt und dort nur kurz zusammengefasst. Dabei wäre der Anhang gar nicht nötig gewesen, da sich alles wunderbar in die Geschichte hätte integrieren lassen ohne so den Lesefluss zu stören. Schade und für mich unverständlich.

Ich hatte den Eindruck, Michaela wollte dieses Buch schreiben, ohne zu viel von sich zu verraten. Bei aller Dramatik bleibt sie an der Oberfläche, beschreibt Situationen und Emotionen nur kurz und sachlich. Sicherlich kann das Buch vielen Menschen Mut machen und Trost spenden. Einfach, weil das „Frau sein“ bei ihr so einfach und selbstverständlich war. Aber berühren oder fesseln kann es ob der Kürze nicht wirklich. Dabei hätte ich mich gerne berühren lassen.

Ein paar Kleinigkeiten abseits des Inhalts haben mich zusätzlich irritiert: Warum erwähnen die beiden Autoren der Vorwörter explizit den von der Autorin gewünschten Untertitel „Es geht auch einfach“, wenn dieser tatsächlich gar nicht auftaucht? Warum ist als Autorin „Miche Ela“ angegeben, wenn dieser Künstlername im Buch selbst gar nicht benutzt wird? Dort tritt sie konsequent unter ihrem bürgerlichen Namen Michael/a Lübbenjans auf. Und warum wird erst in der Danksagung am Ende des Buches erklärt, wer Hans Hengelein ist, der das Vorwort beigesteuert hat? An sich für mich nichts wirklich Tragisches, aber zusammen mit dem schwachen Inhalt auch nicht sehr überzeugend. Michaelas bewegtes Leben hätte eine würdigere Umsetzung verdient.