Rezension

Unterhaltsame und lehrreiche Romanbiografie, die sich Hildegard von Bingen auf ungewöhnliche Weise nähert. Sehr lesenswert.

Hildegard von Bingen - Maria Regina Kaiser

Hildegard von Bingen
von Maria Regina Kaiser

Bewertet mit 5 Sternen

Kleiner Mensch, hab Mut. Ich mache alles gut.

Die von Maria Regina Kaiser verfasste Romanbiografie „Hildegard von Bingen. Die mächtigste Frau des Mittelalters“ ist 2018 im Herder Verlag erschienen und umfasst 255 Seiten.

Die Autorin greift in ihrem Werk prägnante reale und fiktive Szenen aus Hildegard von Bingens Leben auf, verwebt sie zu einem einheitlichen Ganzen und kommt so Faszination und Geltung, die diese Nonne bis heute innehat, auf die Spur.

Gegliedert ist das Buch in ein „Vorspiel“, das ein Gespräch zwischen der Äbtissin Hildegard und ihrer Stellvertreterin Ida wiedergibt, in dem es um ein Interdikt geht, das über Hildegards Kloster verhängt wurde. Daran schließen sich drei „Bücher“ an, in denen Hildegards Leben mit ihrer Lehrerin Jutta von Sponheim, ihre eigene Tätigkeit als Magistra auf Disibodenberg und schließlich ihr Wirken als Äbtissin auf dem Rupertsberg beschrieben werden. Den Abschluss des Buches bilden historische Materialien und Grundlagen zur Biographie, eine Zeittafel, ein Register mit Personen und Orten, ein Glossar sowie Literaturangaben.

Als erstes fällt beim Lesen auf, dass ein anderes Bild von Hildegard von Bingen als das gängige gezeichnet wird. Ist Hildegard von Bingen heute in erster Linie als Kräuterfrau und Diätratgeberin bekannt, spielt dieser Aspekt hier nur eine nebengeordnete Rolle: Zwar tritt er als „Grünkraft“, was hier das Leben und Gottes Wirken auf Erden an sich umfasst, und in der Funktion Hildegards als Heilerin immer wieder auf, in der Mitte des Buches findet sich auch eine Bildtafel mit Heilkräutern, jedoch nimmt die Verfasserin andere Aspekte des Hildegardschen Lebens in den Fokus:

Schon im einleitenden „Vorspiel“ wird Hildegard als selbstbewusste, willenstarke Frau dargestellt, die ihrem eigenen Weg folgt, sich sogar dem Willen der Obrigkeit widersetzt und entsprechend auch von ihren Mitstreiter/innen durchaus kritisch betrachtet wird. Dieses Motiv zieht sich durch den ganzen Roman, was allerdings ein sich Erinnern an die eigenen Grenzen und Unzulänglichkeiten durch Hildegard nicht ausschließt, wenn sie sich selbst immer wieder als „Asche und Moder“ oder „vergänglichen Staub“ beschreibt. 

Dass Hildegards Visionen der Autorin sehr wichtig sind, kann man dem Einstieg in ihre Lebensgeschichte entnehmen, da hier gleich mit einer Vision, der Vorhersage des Todes des Onkels, begonnen wird. Diesen Visionen wird im ganzen Buch auch großer Raum eingeräumt, sogar das letzte Kapitel ihrer Lebensgeschichte endet mit einer: der ihres Todes.

Ein dritter Aspekt, der das ganze Buch begleitet, ist Hildegards Krankheit. Auch diese wird schon gleich zu Beginn beschrieben und taucht im Laufe der Lektüre immer wieder auf, besonders an prägnanten Stellen, in denen es um Hildegards Weiterentwicklung geht. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Krankheit, wie im Mittelalter durchaus verbreitet, als „Gottes Sprache“ verstanden wird: Immer dann, wenn Hildegard ein Problem gelöst hat, verbessert sich auch ihr gesundheitlicher Zustand. Im Anhang des Buches findet man hierzu auch nähere Ausführungen.

Eingeflochten in den Roman sind wiederholt historische Hintergründe, die es dem Leser erleichtern, das Gelesene zu verstehen und einzuordnen: So erfährt der Leser ganz im Nebenbei Wissenswertes über das Leben im mittelalterlichen Kloster, die Einstellung des Adels zum Klosterleben vs. Familienleben oder auch die Kreuzzüge. Hintergrundwissen, dass man nicht allgemein voraussetzen kann, wird im Anhang erläutert.

Kaisers Sprache ist flüssig und gut zu verstehen, hat jedoch auch den Anspruch, dem Thema und der Zeit zu genügen, indem ausgewählte und der damaligen Zeit angemessene Phrasen und Formulierungen (z.B. Magistra, Matutin) verwendet werden.

Originalquellen entnommene Sequenzen sind kursiv gedruckt, was dem Lesenden einen noch authentischeren Eindruck von der historischen Hildegard und ihren Lebensumständen vermittelt. Selbiges vermögen zudem die recht zahlreichen Abbildungen, die das Werk illustrieren.

Insgesamt handelt es sich bei Maria Regina Kaisers Romanbiographie um eine sehr gelungene und leserfreundliche Darstellung des Lebens der Heiligen Hildegard von Bingen, die den Leser in eine lang zurückliegende Zeit entführt und daraus einen großen Teil seiner Faszination schöpft sowie Aspekte des Lebens dieser Heiligen ans Licht befördert, die ansonsten oft vernachlässigt werden. Dem Leser eröffnet sich damit ein neues Bild und weckt Lust, sich noch näher mit dem Leben dieser Heiligen zu beschäftigen.