Rezension

Unterhaltsamer und nachdenklicher Trip durch Österreich

Niemand weiß, wie spät es ist - René Freund

Niemand weiß, wie spät es ist
von René Freund

Bewertet mit 5 Sternen

Zum Inhalt:

Noras Vater Klaus ist gestorben und lässt die junge Pariserin ohne weitere Familie zurück. Als Alleinerbin erhält sie ihr Erbe jedoch nur unter einer Bedingung: Sie muss Klaus' Asche nach Österreich bringen. Und zwar zu Fuß auf einer langen Wanderung. Für eine chaotische Stadtpflanze wie Nora klingt das nach einer ganz blöden Idee!

Und das Schlimmste an der Sache ist nicht nur, dass sie nicht das Ziel kennt und immer erst kurz vorher die nächste Etappe gesagt bekommt, sondern dass sie von Bernhard begleitet wird. Bernhard, ein österreichisch-preußischer Notariatsgehilfe, wie er im Buche steht. Der introvertierte Veganer liebt Topfpflanzen und ist - im Gegensatz zu Nora - natürlich bestens gerüstet für die anstrengende Reise.

Mit Urne im Gepäck macht sich das ungleiche Paar also auf den Weg in die Berge. Und während dieser Reise lernen sie sich nicht nur gegenseitig, sondern auch die Schönheit Österreichs und letztendlich sich selbst besser kennen.

Meine Meinung:

Von René Freund kannte ich bislang nur "Mein Vater, der Deserteur", eine Biographie über seinen Vater Gerhard Freund. Damals hat mir bereits der Schreibstil des Autors und seine Fähigkeit, ernste/tragische Dinge mit einem gewissen Humor zu betrachten, gut gefallen. Als ich den Klappentext zu "Niemand weiß, wie spät es ist" las, wusste ich: "Ein Roman von René Freund? Den will ich lesen!" Ich erwartete etwas Gutes - und ich wurde nicht enttäuscht.

In der Geschichte um Bernhard und Nora prallen natürlich Welten aufeinander. Sie ist die weltgewandte, non-chalante Pariserin, die gutes Essen und Trinken zu schätzen weiß und als Journalistin eher ein unstetes Leben führt. Er ist der introvertierte Gegenpol, der seinen Auftrag überkorrekt und stoisch ausführt. Ich mochte die Protagonisten von Anfang an, auch wenn sie ihre Macken haben. Die beiden entwickeln sich im Laufe der Geschichte sehr stark weiter. Vor allem über Bernhard erfährt man nach und nach mehr, und diese Figur bietet sehr viele Überraschungen.  Natürlich lebt die Handlung davon, dass beide grundverschieden sind und sich öfter in die Haare bekommen. Sie reißen sich aber recht schnell am Riemen und schaffen es, eine Einheit zu bilden.

Noras Vater Klaus tritt hier in Form von Videonachrichten und Briefen in Erscheinung. Im Angesicht des Todes blickt er zurück und philosophiert viel über das Leben und die Liebe. Ich fand das manchmal etwas zäh und wollte einfach, dass es weitergeht mit Nora und Bernhard. Aber gerade gegen Ende des Romans werden Klaus' Nachrichten auch wichtig für den weiteren Verlauf der Handlung. Und der ein oder andere Satz macht dann doch nachdenklich.

Das Ende überrascht und ist dem Autor wirklich gelungen. Die Geschichte um Bernhard und Nora nimmt eine sehr starke Wendung, die ich zu keiner Zeit vorausgeahnt hatte. Und ich bin René Freund dankbar, dass er das Buch nicht so erzählt hat, wie ich es eigentlich erwartet hätte. Denn sind wir mal ehrlich - wenn man den Klappentext liest, denkt man doch sofort an das gängige Konzept: Zwei ungleiche Menschen müssen notgedrungen eine gewisse Zeit intensiv miteinander verbringen, und aus anfänglicher Antipathie wird die große Liebe. Hier gelingt es dem Autor jedoch, den Leser zu überraschen!

Ich mag Freunds Schreibstil. Er ist lebendig und liest sich flüssig und angenehm. Es liegt viel Witz und Charme vor allem im Zwischenspiel zwischen Nora und Bernhard. Der Hintergrund - Klaus' Tod, Noras Trauerbewältigung und Bernhards Vergangenheit - ist ernst, die Handlung - Noras und Bernhards Wanderung durch Österreich - ist jedoch sehr unterhaltsam, spannend und mitunter auch recht komisch.

Im Endeffekt ist das hier keine Geschichte mit viel Action und Spannung. Dennoch bleibt sie im Fluss und weiß zu fesseln, ist unterhaltsam und macht auch nachdenklich. "Niemand weiß, wie spät es ist" hat mir persönlich viel Freude beim Lesen bereitet.