Rezension

Unterhaltung mit Tiefgang

Paradies für alle - Antonia Michaelis

Paradies für alle
von Antonia Michaelis

Bewertet mit 4 Sternen

David, der neunjährige Sohn der Malerin Lovis, liegt nach einem rätselhaften Autounfall im Koma. Was hatte der Junge 50 Kilometer von seinem Zuhause entfernt auf der Autobahn zu suchen, wo er "wie aus dem Nichts" auf der Fahrbahn aufgetaucht sein soll und von einem Auto erfasst wurde?
Lovis muss sich eingestehen, dass sie kaum sagen kann, was ihren hochbegabten Sohn in der letzten Zeit bewegt hat und dass er irgendwann damit aufgehört haben muss, sich ihr anzuvertrauen.
Ein Fund in Davids Zimmer bringt Lovis auf eine wichtige Spur: Es sind die verschlüsselten Aufzeichnungen über Davids Projekt "Werkstatt zur Verbesserung der allgemeinen Gerechtigkeit". Gemeinsam mit seiner Freundin Lotta hatte David versucht, in seinem kleinen Heimatort für etwas mehr Gerechtigkeit zu sorgen und die vorhandenen Güter umzuverteilen. Hat dieses Projekt etwas mit Davids Unfall zu tun? Lovis beschließt nachzuforschen und sich mit den Menschen zu unterhalten, deren Leben David verbessern wollte...

Meine Meinung:
Trotz seiner 480 Seiten habe ich Antonia Michaelis' Roman rasch durchgelesen. Erzählt wird aus der Perspektive von Davids Mutter Lovis; andererseits erfährt man durch seine "Werkstattberichte" auch viel über Davids eigene Gedanken und Gefühle. Langeweile kam für mich zu keiner Zeit auf. Wer allerdings mit ethischen und/oder philosophischen Gedankengängen nichts anfangen kann, der wird mit "Paradies für alle" wohl nicht sehr glücklich werden. Allen anderen sei dieses Buch trotz seines ernsten und traurigen Themas sehr ans Herz gelegt!
Zwar hat Antonia Michaelis bei ihren Fragen nach der Existenz Gottes bzw. einer höheren Macht und dem Bösen in der Welt das Rad nicht neu erfunden, aber ich finde es sehr positiv, in einem Unterhaltungsroman darauf zu stoßen und nicht nur in religiösen Fachbüchern.
Während des Lesens habe ich kritisiert, dass man zu wenig aus der Perspektive von Claas, Davids Vater, erfährt. Am Ende macht dieser Aufbau allerdings Sinn, denn erst allmählich wird Lovis klar, dass die Welt, in der sie lebt, zwar kein Paradies sein mag, aber vielleicht auch nicht ganz so furchteinflößend und negativ, wie sie bisher dachte.
Sicher werden einige Probleme zu einfach aus der Welt geschafft, aber im Grunde geht es auch nicht darum, wie David/Lovis die Welt retten, sondern wie Lovis die Chance bekommt, sich persönlich weiterzuentwickeln, indem sie die Welt und die Menschen in ihrer Umgebung besser kennenlernen kann, anstatt sich weiterhin vor den Vorstellungen zu fürchten, die sie sich hinter ihrer sicheren Fassade von ihnen gemacht hatte.
Auch das Ende empfinde ich als realistisch, wenn auch die Auflösung des Unfalls schon recht heftig ist. Damit hätte ich nun nicht gerechnet. Das Buch geht an die Substanz, da es den Leser mit Themen konfrontiert wie Verlust, Tod und die Frage, was denn nach dem Tod kommt. Wer sich darauf nicht einlassen kann oder möchte - ich denke hier vor allem an Eltern, für die es noch mal heftiger sein muss, darüber zu lesen - , sollte vielleicht von "Paradies für alle" lieber die Finger lassen.