Rezension

Verdrängte Erinnerungen …

Das Geburtstagsfest - Judith W. Taschler

Das Geburtstagsfest
von Judith W. Taschler

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Geburtstagsfest, bei dem verdrängte Erinnerungen an grausame Erlebnisse wieder wach werden.

Bei Kim Mey steht der 50. Geburtstag an, den seine Familie groß feiern möchte. Die Vorbereitungen sind getroffen und auch der Überraschungsgast hat nach einigem Zögern seine Zusage gegeben. Es ist Tevi Gardiner, die Kim als Kind in Kambodscha vor den Roten Khmer gerettet hat und mit der er von einer österreichischen Familie und deren Tochter Ines aufgenommen wurde. Die drei Kinder wuchsen zusammen auf, bis Tevi nach Amerika ging und Kim Ines heiratete. Über die Zeit in Kambodscha wurde nie geredet, zu grausam waren offenbar die Erlebnisse. Nun hofft Kims Familie durch Tevis Besuch mehr zu erfahren. Ob Kim sich wohl über die Überraschung freuen wird oder werden dadurch nur alte Wunden aufgerissen und geheim gehaltene Beziehungen aufgedeckt? Eine Katastrophe scheint vorprogrammiert …  

Judith W. Taschler (geb. 1970) ist eine österreichische Schriftstellerin. Sie wuchs mit sechs Geschwistern im oberösterreichischen Mühlviertel auf. Nach ihrem Schulabschluss und einem Auslandsaufenthalt in den USA übte sie verschiedene Jobs aus. Sie absolvierte ein Germanistik- und Geschichte-Studium an der Universität Innsbruck und unterrichtete danach einige Jahre als Deutschlehrerin. Ihr erster Roman erschien 2011. Es folgten noch sieben weitere, die durchweg gute Kritiken bekamen. 2014 wurde Taschler mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern als freischaffende Autorin in Innsbruck.

Ich mag die Art wie Judith W. Taschler schreibt, anspruchsvoll, virtuos und psychologisch gut durchdacht. Sie versteht es, mit außergewöhnlichen und ergreifenden Familiengeschichten ihre Leserschaft zu fesseln. Meist geht es um Konflikte in den Beziehungen und um deren Hintergründe. Im vorliegenden Roman „Das Geburtstagsfest“ (2019) spielt ein Großteil der Geschichte in Kambodscha zwischen 1975 und 1979, als Bürgerkrieg herrschte, die Roten Khmer das Land terrorisierten und rund zwei Millionen Todesopfer zu beklagen waren. Dabei schreckt die Autorin nicht davor zurück, detailliert über Einzelheiten der Folterungen und Hinrichtungen zu schreiben, um uns die Kindheit und die daraus resultierenden psychischen Folgen der beiden Protagonisten Kim und Tevi näher zu bringen.

Die zweite Zeitebene, ab etwa 1980 in Österreich, als die beiden Flüchtlingskinder in einer Familie aufgenommen wurden, ist nicht minder spannend. Wir erleben die extremen Unterschiede beider Länder, begleiten die Kinder beim Erwachsenwerden und sind dabei, wenn es zu Spannungen und zur Entfremdung zwischen Kim und Tevi kommt. Als dritte Handlungszeit ist die Gegenwart zu nennen, in der das Geburtstagsfest stattfindet und in der manches ans Tageslicht kommt, was bisher erfolgreich verschwiegen wurde. Im Epilog, der einen eMail-Schriftwechsel wiedergibt, klären sich die Fronten und Versöhnung ist in Sicht. Ein Glossar mit den wichtigsten verwendeten Spezialausdrücken sowie eine Kurzfassung der Geschichte Kambodschas von der Gründung zu Beginn des 9. Jahrhunderts bis heute runden das Geschehen gekonnt ab.

Fazit: Ein großartiges Buch, das nicht nur eine interessante Familiengeschichte, sondern auch viel Wissenswertes über Kambodscha vermittelt.