Rezension

Verschwendete Leben...

Das Band, das uns hält -

Das Band, das uns hält
von Kent Haruf

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der erste Roman Kent Harufs zeigt schon sein Können - wahrhaftig und einfühlsam erzählt er von einem harten Leben, das wenig Schönes bietet.

Die achtzigjährige Edith Goodnough wurde verhaftet. Ihr Nachbar weiß um Ediths Lebenstragödien und die kleinen Lichtblicke, die vielleicht unweigerlich zu diesem Januar 1977 führten: die entbehrungsreiche Kindheit, der Tod der Mutter, der durch einen Unfall abhängige, stets wütende Vater. Wahrhaftig und einfühlsam entführt Kent Haruf abermals in ein Leben, in dem es an dem meisten fehlt, in dem es Herz und Beharrlichkeit braucht, um die Geschenke darin zu entdecken. (Verlagsbeschreibung)

Die achtzigjährige Edith wurde verhaftet, das erfährt man direkt schon zu Beginn der hier erzählten Familiengeschichte, was natürlich gleich schon neugierig darauf macht, was da wohl geschehen sein mag. Darauf folgt zunächst eine langgezogene Rückblende auf die Eltern von Edith und ihrem nun verstorbenen Bruder. Der Vater als gnadenloser Despot, der nicht nur hart sich selbst gegenüber ist. Die Mutter, von zarterem Gemüt, erholt sich von dem Schock der Umsiedlung nach Colorado und dem "Ausgeliefertsein" an das trostlose Land und ihren gefühllosen Mann zeitlebens nicht mehr. Einziger Lichtblick für die Mutter ist die halbindigene Nachbarin, die sie bei einschneidenden Ereignissen wie der Geburt ihrer Kinder oder auch im Sterbeprozess begleitet.

Nach dem Tod der Mutter ist es eben diese Nachbarschaft, die v.a. auch für Edith einen Halt bedeutet. Dabei erweist sich vor allem der Nachbarssohn Sanders Roscoe als treuer Freund. Er ist es auch, der die Lebensgeschichte von Edith als Ich-Erzähler den Lesenden präsentiert, nachdem er nach Ediths Verhaftung einen Reporter vom Hof gejagt hat. So erfährt man von der täglichen harten Arbeit auf dem Feld und mit dem Vieh, vom Unfall des Vaters, der ihn noch verbitterter werden lässt, von den jahrelangen Reisen von Ediths Bruder Lyman, v.a. aber von Ediths Lebenswelt. Die Trostlosigkeit der Landschaft, die Härte der Lebensumstände, all das kommt hier gut rüber.

Kent Haruf trägt wie gewohnt gleichzeitig distanziert und unter der Oberfläche doch gefühlvoll, undramatisch und doch fesselnd durch die Erzählung. Wie immer bei Kent Haruf erfolgt die Charakerzeichnung auch diesmal ruhig, melancholisch, unaufgeregt, aber prägnant. Positive wie negative Facetten treten zutage, nüchtern dargestellt ohne zu beschönigen oder zu dramatisieren und dabei erstaunlicherweise stets ohne Wertung. Gerade bei Ediths Vater Ray fiel es mir diesmal schwer, das zu akzeptieren - denn wenn man ein Feindbild braucht: tadaa...

Es widerstrebte mir auch, welche Entscheidungen Edith für sich und ihr Leben aus einem (für mich überzogenen) Verantwortungsgefühl heraus getroffen hat - mehr als einmal habe ich gedacht: ein verschwendetes Leben. Edith und ihr Bruder haben sich stets abgestumpft dem lieblosen Diktat ihres Vaters unterworfen. Und nicht nur sie zahlten dafür einen lebenslangen Preis. Ich weiß ja, dass es solche Menschen gibt, die vor allem einem inneren Pflichtbewusstsein gehorchen und darüber vergessen, ihr eigentlich mögliches Leben zu leben - aber auch in der Realität halte ich das nur schwer aus. Trotzdem war mir Edith durchaus sympathisch, und die kleinen glücklichen Momente, von denen hier auch die Rede ist, haben mich jedesmal für sie gefreut. Die Begegnungen, die Akzente der Mitmenschlichkeit - sie sind es, die die Einsamkeit zuweilen auflösen und die selbst angesichts mancher Schrecknisse für Hoffnung und Trost sorgen. Aber auf das Glück ist eben kein Verlass...

Der erste Roman Kent Harufs ist nun gleichzeitig der letzte, der auf Deutsch erschienen ist - und auch der letzte, den ich nun gelesen habe. Da der Autor bereits verstorben ist, gibt es nun keine weiteren Reisen mehr in das fiktive Städtchen Holt in Colorado, was ich sehr bedaure. Kent Haruf ist auf jeden Fall immer eine Leseempfehlung!

 

© Parden