Rezension

Versöhnung mit der Altersdemenz der Mutter

Die Geschenke meiner Mutter - Cecilie Enger

Die Geschenke meiner Mutter
von Cecilie Enger

Bewertet mit 5 Sternen

Cecilie Engers Mutter ist an Altersdemenz erkrankt und kann nicht mehr allein in ihrem Haus leben. Die Auflösung des Haushalts konfrontiert die Tochter mit Erinnerungsstücken ihrer Kindheit. Dinge, die ein Leben lang ihren Dienst taten, sind auf einmal nur noch Müll, wenn keines der Kinder Platz dafür hat. Erwachsenen Kindern fällt der endgültige Abschied vom Elternhaus erfahrungsgemäß sehr schwer; sie hatten erwartet, dass dort alles so bleibt wie es ihnen aus ihrer Kindheit vertraut ist. Ruth hat gegen das völlige Versagen ihres Kurzzeitgedächtnisses mit Erinnerungszetteln und Listen zu kämpfen versucht. Viele der Termine existierten nur im Kopf der Kranken. Sie hinterlässt aus gesunden Zeiten eine penibel geführte Liste, welche Geschenke ihre Familie zu Weihnachten vergeben und erhalten hat. Ruths Geschenkeliste muss es in der Familie Enger genauso gegeben haben; sie ist auf dem Vorsatzblatt des Buches abgedruckt.

Diese Liste führt Cecilie wie eine Familienchronik zurück zu den Weihnachtsfesten ihrer Kindheit und zu Verwandten, die schon nicht mehr leben. Die Großeltern mütterlicherseits waren beide kulturell interessiert, Cecilies Großvater arbeitete als Theaterkritiker und schrieb für eine kommunistische Zeitung; seine Frau hatte als Bildhauerin und Malerin ein eigenes Atelier. Als ihre Tochter Ruth einen Ingenieur heiratet, der in den USA studiert hatte, sah der Großvater etwas hochnäsig auf seinen technisch begabten Schwiegersohn herab. Beide Großeltern wurden von ihren Enkeln wie Gottheiten verehrt. Die unverheiratete Großtante Kaja sprach schon mit der fünfjährigen Cecilie über Glück und hinterließ ihr ein Buch mit selbstverfassten Gedichten, deren Wert das kleine Mädchen erst viel später schätzen sollte. Ein Großonkel suchte sein Glück in Amerika, wie Kaja hatte er in der Familie eine Rolle, die vielen Familien vertraut sein wird. Die Geschenke, die mit viel Liebe angefertigt und ausgesucht wurden, sind nicht nur Gegenstände, sie sprechen eine deutliche Sprache über das Netz gegenseitiger Verpflichtungen zwischen Schenkendem und Beschenktem. Für die demente Ruth sind Dinge jedoch längst nicht mehr mit Erinnerungen verknüpft, sie verängstigen sie, weil sie nicht mehr weiß, was sie bedeuten.

Der Weg zurück in ihre Kindheit erinnert Cecilie daran, dass ihre Mutter ein ungewöhnliches, erfülltes Leben geführt hat. Ruth konnte sich derart über die Ungerechtigkeiten in aller Welt aufregen, dass in der Familie diskussionsfreie Zonen eingerichtet werden mussten, damit sie wieder zurück auf den Teppich kommen konnte. Auch wenn die Tochter ihre Mutter nun nichts mehr über die Vergangenheit fragen kann, versöhnt der Rückblick sie mit dem Schicksal ihrer Mutter. Neben der versöhnlichen Wirkung, die Cecilie Engers biografischer Roman auf seine Leser ausübt, schärft er auch die Wahrnehmung erster Anzeichen der Krankheit, die Betroffene und ihre Angehörigen im frühen Stadium meist noch nicht wahrnehmen.