Rezension

Volltreffer!

Geklont
von Michael Marshall Smith

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist gleichwohl eine faszinierende wie auch furchteinflößende, düstere Zukunftsvision, die Michael Marshall Smith in seinem Roman "Geklont" (1998) / OT: Spares (1996) (später neu verlegt unter "Der sechste Klon") entwirft. Die Stadt Richmond wurde zerstört, ein MegaLiner – über 200 Stockwerke hoch mit riesigen Shopping-Malls und allem, was man zum Leben braucht – strandete später hier und so entstand New Richmond. Neben modernster Technik, wie sprechenden Geräten, Droiden und allen vorstellbaren Annehmlichkeiten gibt es aber auch Reserve-Farmen. Hier werden Klone geschaffen, die als Ersatzteillager für die Reichen dienen und unter grausamen Bedingungen "leben" müssen.
Jack Randall ist mit seinen polizeilichen Ermittlungen und der Weigerung, sich schmieren zu lassen, einigen hohen Tieren auf die Füße getreten und muss eine Zeit lang von der Bildfläche verschwinden. So kommt er schließlich zu einem Job in einer der Farmen und kann kaum fassen, was für Zustände dort herrschen. Er beschließt, einer Gruppe von Reserven zu helfen und flieht mit ihnen. Doch sein Vorhaben endet in einer Katastrophe, Eins kommt zum Anderen, seine Vergangenheit holt ihn ein und ehe er sich versieht, ist er gefangen in einem Strudel aus Gewalt und Blutvergießen, bei dem nicht nur das Leben der Reserven auf dem Spiel steht.

Leseeindruck

Was für eine Geschichte! Wow! Ich hatte bisher noch nichts von Michael Marshall Smith gelesen, doch das wird sich nach diesem Buch definitiv ändern. Smith hat einen faszinierenden und ungewöhnlichen Schreibstil – on point, schwarzhumorig, teilweise derb (hier absolut passend, weil der Protagonist Jack als Ich-Erzähler fungiert) und flüssig zu lesen. Wenige Worte mit unglaublich viel Effekt. "Geklont" ist keine seichte Sci-Fi-Lektüre und sicher auch kein 08/15-Zukunftsthriller, denn dem Leser wird verdammt viel Stoff zum Nachdenken geboten. Und dennoch ist dieser Roman irgendwie auch Kopfkino vom Feinsten.

»Früher hatten wir die Religion, aber jetzt haben wir die Codes, beides Symbole für Vorgänge, die in Sphären außerhalb unserer Sichtweite stattfinden. (…) Erneut haben wir unseren Verstand dem nicht Wahrnehmbaren überantwortet, als hätte die Menschheit ein grundsätzliches Bedürfnis danach, daß nicht faßbare Mächte das Schicksal bestimmen. Vielleicht brauchen wir einfach Orte, zu denen kein Weg führt.«

Die Themen, die hier auf fantasievolle und oft auch schockierende Weise miteinander verwoben werden, sind vielfältig und tatsächlich immer noch aktuell. Als Smith seinen Roman "Spares" 1996 veröffentlichte, war das Rahmenthema hochbrisant, denn das Schaf Dolly wurde in diesem Jahr aus einer ausdifferenzierten somatischen Zelle geklont und war somit das erste Säugetier, das durch ein Klonierungsverfahren gezeugt wurde. Aber auch wenn Titel und Eingangsszenario des Romans darauf hindeuten, so ist das Klonen nur eines von vielen Themen, die hier zum Tragen kommen, und nicht einmal das vorangigste. Kriegsneurosen und -verbrechen, das Gefälle zwischen Arm und Reich, Korruption, menschliche Schwächen, Drogen, fehlerhafte Technik, Gewalt, Schuld und Sühne, Freundschaft, Vertrauen, Treue und Liebe – das alles findet Einzug in dieser bunten, verrückt-genialen Story mit Roman-Noir-Einschlag. Dabei ist Smith stets direkt, schreibt ungeschönt und erzielt so größte Wirkung, mildert diese Magenschwinger dann aber immer wieder gekonnt mit einem herrlich tiefschwarzen Humor ein wenig ab. Zartbesaitet sollte man also nicht unbedingt sein, denn es gibt allerhand blutige und brutale Szenen, die zwar geschildert aber dabei auch nicht unnötig zur Schau gestellt werden.

»Ungeheuer viele Gegenstände und Geräte haben heutzutage einen eingebauten Verstand – und meistens ist er einfach abgeschaltet. Wir sind von ungenutzter Intelligenz umgeben – und in diesem Fall ausnahmsweise nicht von unserer eigenen.«

Seine Figuren zeichnet Smith äußerst gekonnt. Sie sind vielschichtig und gerade deshalb so authentisch. Jack ist alles andere als ein Held – er hat und macht Fehler, schleppt eine Menge Seelenmüll mit sich herum und weiß das auch. Er ist im Kern aber ein aufrichtiger und guter Mensch, der versucht das Richtige zu tun und dabei, wie so oft im Leben, hin und wieder auf die Schnauze fällt.

»Bieg die Welt zurecht, hatte er gesagt, gib dich nicht mit weniger zufrieden, als du haben willst, und spreng ein Loch in jede Mauer, die dir im Weg steht.«

Fazit

Ein skurriler, vielschichtiger und nachdenklich stimmender Roman, der mit viel Spannung, rasanter Action, starken Figuren und viel schwarzem Humor punktet, und mich von der ersten bis zur letzten Seite fesseln konnte. Ein Highlight, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird. Lesen!