Rezension

Vom "Frauenroman" zum Klassiker

Zwei Schwestern
von Dorothy Baker

Bewertet mit 4.5 Sternen

Cassandra Edwards ist unterwegs in ihr Elternhaus zur Hochzeit ihrer Zwillingsschwester. Die Art, in der sie in einem - teils pathetischen - Monolog von der Fahrt und ihrem Verhältnis zu ihrer Schwester berichtet, lässt befürchten, dass Cassandra dabei ist, sich unglücklich zu machen. Aus ihrer Symbiose des Zwillingsdaseins mit gemeinsamem Sport und geteilter Liebe zur Musik ist Judith ausgebrochen, indem sie zuerst allein nach New York ging - und sich dort in einen jungen Assistenzarzt verliebte. Judith wird mit ihrer Heirat das enge Band zwischen den Schwestern zerstören, das die Großmutter stets niedlich fand und gegen das die verstorbene Mutter der Mädchen entschieden zu steuern versuchte. Cassandra wollte ursprünglich ihrer verstorbenen Mutter nacheifern und Autorin werden, doch offenbar hat sie es bisher nur zu einem Lehrerstudium in Berkeley und einer unfertigen Examensarbeit gebracht. Die Schwestern treffen in ihrem ehemaligen Kinderzimmer aufeinander, das kaum verändert an ihre Zeit als Leistungsschwimmerinnen erinnert. Die Hochzeitsplanung auf der Ranch der Familie Edwards wirkt seltsam bruchstückhaft, so dass ich mich gefragt habe, wozu die geplante Rolle einer Brautjungfer eigentlich gebraucht wird. Während Großmutter Rowena unbeirrt ihre Vorstellung einer Hochzeit verfolgt, wirkt um sie herum das Verhältnis der Edwards zum künftigen Schwiegersohn sehr sonderbar. Der Vater, ein pensionierter Professor, und Cassandra sprechen so elitär wie desinteressiert von Jack Finch wie von einem Niemand, der noch nicht einmal die Mühe wert ist, sich seinen Namen zu merken. Innerhalb von nur drei Tagen gerät das äußerlich intakte Familienleben der Edwards gehörig aus dem Lot.

Die Ereignisse werden zunächst nur aus Cassandras Perspektive berichtet. Später kommt auch Judith zu Wort, allerdings erheblich kürzer als ihre Schwester. Die Handlung entwickelt durch die Form des Monologs eine bedrückende Dynamik, die durch Dorothy Bakers peniblen Stil noch unterstützt wird. "Zwei Schwestern" ist nicht der erste und einzige Roman über eine beklemmende Symbiose zwischen eineiigen Zwillingen; er beeindruckte mich nachhaltig durch den Einblick in Lebensentwürfe junger Frauen in den 60ern.

Dorothy Bakers bereits 1962 im Original erschienener scharfzüngiger Roman über die Zwillingsschwestern Cassandra und Judith und ihren abgeschiedenen Familienkosmos wurde zunächst in den USA neu aufgelegt (bei New York Review Books Classics, wo auch John Williams' Stoner wiederaufgelegt wurde) und nun auch neu ins Deutsche übersetzt. In der Ausgabe des Krüger Verlags von 1965 wäre Kassandra auf der Hochzeit vermutlich als Frauenroman eingeordnet worden. 50 Jahre später kann die Konfrontation zweier Schwestern beinahe schon als Klassiker bezeichnet werden, der Einblick in Frauenschicksale zu Beginn der 60er gibt. Dorothy Bakers Buch neu zu entdecken, finde ich sehr lohnenswert.