Rezension

Vom Grauen nebenan

Southern Gothic - Das Grauen wohnt nebenan -

Southern Gothic - Das Grauen wohnt nebenan
von Grady Hendrix

Bewertet mit 5 Sternen

Patricia Campbell ist engagierte Hausfrau und Mutter, die sich nebenher in einem Buchclub vom mühseligen Alltag ablenkt: Hier wird heimlich True Crime gelesen und sich mit Serienkillern auseinandergesetzt. Als der gutaussehende James Harris in die Nachbarschaft zieht, wird der kultivierte Mann mit offenen Armen aufgenommen. Als aber immer mehr Kinder verschwinden, hegt Patricia den Verdacht, dass James in Wahrheit ein Monster ist.

Mit Grady Hendrix habe ich einen Horror-Autor nach meinem Geschmack entdeckt. Während er bei „Der Exorzismus der Gretchen Lang“ zwei jugendliche besten Freundinnen mit teuflischem Segen versah, bitten nun bemühte Hausfrauen die Gefahren der Dunkelheit in ihre Heimstätten herein.

Die Handlung geht von den späten 1980er-Jahren bis in die ausklingenden 1990er. Hendrix lädt in die Südstaaten ein, wo sich die Frauen um ihre Männer und Kinder kümmern, Zusammenhalt an der Tagesordnung ist und Patricia Campbell mit ihren teilweise neu gewonnenen Freundinnen einer geheimen Leidenschaft frönt: Statt sich in einem herkömmlichen Buchclub der angesagten Preisträger-Literatur zu widmen, haben es die Damen auf True Crime abgesehen, was sie im Lauf der Jahre zu Profis auf dem Gebiet schwerer Verbrechen macht.

Hendrix formt dadurch eine Gruppe von Frauen, die ihr Umfeld genau betrachtet, und bewusst ein zweites Mal hinsieht. So fällt auf, dass der neue Mitbürger James Harris - belesen, charmant und gutaussehend - für allerlei Missstände sorgt, die im gesellschaftlichen Trubel allerdings unter den Tisch gefegt werden.

Trotzdem wagen es die Frauen, eine Verbindung zu sehen, als immer mehr Kinder verschwinden, für die sich keiner interessiert: Im Süden der USA fragt niemand nach, wenn ein schwarzes Kind abhandenkommt.

Feinfühlig arbeitet der Autor gesellschaftskritische Themen ein und spricht vor allem Diskriminierung an. Es ist ein Horror-Roman, der die Randposition von Frauen zeigt, die in ihrem Hausfrauen-Dasein nach Bildung gieren und trotz fundierter Argumente als hysterische Weiber gelten. Dennoch verneigt sich Hendrix vor dieser Damenschaft, die unter dem Deckmantel der vorbildlichen Ehefrau großen Mut und Stärke zeigt. Sie greifen sozusagen nach den Waffen der Frauen, um der Gefahr Paroli zu bieten. 

Mich hat Hendrix sofort in die Lebenswirklichkeit dieser Frauen gezogen. Großteils wirkt sie altmodisch, während es auf der anderen Seite durchaus überzeugend ist. Die Beziehungen untereinander werden beleuchtet, Patricias Familie wird vorgestellt, es zeigen sich Probleme in allen Facetten, während man ein Gefühl für die Figuren und die Rahmenbedingungen entwickelt. 

Für mich ist es eine Mischung aus feinfühligem Horror- , Entwicklungs- und Spannungsroman. Anfangs kam ich in den Südstaaten an und wurde danach in die Handlung gezogen, dass sich vor unterschwelliger Spannung die Buchdeckel bogen. Brutale Episoden, amüsante Eskapaden wechseln sich mit tiefgreifenden Passagen ab. Dabei lässt Hendrix den Horror einziehen, während er den Figuren eine mitreißende Lebendigkeit verleiht und dem Grauen einen greifbaren Hintergrund gibt.

Mir hat dieses Buch außerordentlich gut gefallen. Die fesselnde Atmosphäre und die dicht-verwobene Handlung mit ihren feinen Details, vielschichtigen Figuren und dezenten dennoch aufrührenden Horror-Elementen sind in diesem Meisterwerk auf moderne Weise vereint.

Aufgefallen ist mir, dass Grady Hendrix nicht bei jedem Horror-Leser den Geschmack trifft, aber wer subtiles, gesellschaftskritisches Schaudern, eingebettet in die Normalität des Alltäglichen mag, der sollte sich darauf einlassen. Ich bin jedenfalls begeistert!