Rezension

Vom immer wieder Aufstehen

Vom Aufstehen -

Vom Aufstehen
von Helga Schubert

Bewertet mit 5 Sternen

Intensiv, poetisch, aufregend und durcheinander wie ein ganzes Leben. Helga Schubert hat mich mit ihrem Buch auf jeden Fall berührt.

"Denn ich habe mir in meinem langen Leben alles einverleibt, was ich wollte an Liebe, Wärme, Bildern, Erinnerungen, Fantasien, Sonaten. Es ist alles in diesem Moment bei mir. Und wenn ich ganz alt bin, vielleiht gelähmt und vielleicht blind, und vielleicht sehr hilfsbedürftig, dann wird das alles auch noch immer in mir sein. Das ist nämlich mein Schatz." (Seite 170)

In ihrem Buch "Vom Aufstehen" beschreibt, umschreibt, erzählt die Autorin von ihrem Leben, auch vor allem auch das von ihrer Mutter, das Verhältnis zwischen ihnen, was ihnen im Weg stand und wie sie im Alter damit nun umgeht.

In oft sehr kurzen und knackigen Kapiteln schreibt die Autorin ihre Geschichte nieder. Das liest sich wunderbar weg und ist trotzdem nicht mit Oberflächlichkeiten abzuspeisen.

Schon das Cover ist ein toller, und durch das Rot, intensiver Blickfang. Auch der Schreibstil konnte mich begeistern. Allerdings kann ich mir vorstellen dass es nicht jedem Leser*in so gehen wird. Denn Helga Schubert schreibt nicht in einer Zeitchronologie. Nein. Sie schreibt wild, frei, schweift hier und da ab, überlegt während ihrer Erzählungen, mal ist man bei ihr, mal bei der Mutter, mal in der BRD, mal in der DDR, mal auf der Flucht vor den Russen im Zweiten Weltkrieg. Man muss sich auf jeden Fall fallen lassen können um dieses Buch genießen zu können.

Ich kann gar nicht genau sagen welche Geschichte mich am meiten berührt hat, aber für mich war es dann doch "Mein idealer Ort", "Mein Winter", "Eine Wahlverwandtschaft" und "Der Duft des Lebens".

Am meisten berührt, ja mich in meine Kindheit geworfen, haben die Erinnerungen die sie mit ihrer Grossmutter hatte. Diese gemeinsame Zeit hat mich an die Zeit bei meinen Grosseltern denken lassen und das war ein herrlicher "Flashback", alleine für solche lohnt es sich dieses Buch zu lesen. Die Grossmutter väterlicherseits spielt eine sehr grosse Rolle in dem Leben von Helga Schubert, dies wird sehr schnell klar. Und wer weiss was aus Helga geworden wäre ohne diesen Anker in Gestalt der Grossmutter.

Dass das Verhältnis zur Mutter nie einfach war, auch nie einfacher wurde, das liest man in sehr vielen Kapiteln. Mal sehr direkt und ohne Umschweife, dann aber wieder als kleinen Nebenklang, zwischen den Zeilen, kürzer oder länger, aber immer mehr wird einem als Leser bewusst was diese Gefühle und Aussagen der Mutter an die jüngere und ältere Helga ausgelöst haben.

Wobei ich beide Frauen bewundern muss. Nicht nur dass Helga ihren Vater als 1jährige verlor da er im Zweiten Weltkrieg ums Leben kam. Sie mussten vor den Russen flüchten, ihre Mutter und sie. Mit eigentlich nichts was ihnen gehört. Die Zeit danach war nicht einfach, als Kriegswitwe mit einem Kind. Dann die Zeit in der DDR, wieder eingesperrt, beobachtet, keine wahren Freiheiten. Und nun dieses freie Leben was man immer noch nicht fassen kann.

Die Demut kommt bei der Autorin sehr oft zum Vorschein, vieles was ihr heute möglich ist sieht sie weiterhin nicht als Selbstverständlichkeit.  Ein kleines literarisches Highlight welches ich gerne empfehlen möchte.