Rezension

Was ist Heimat?

Heimat - Nora Krug

Heimat
von Nora Krug

Bewertet mit 5 Sternen

Was bedeutet es, Deutsche zu sein? Die Antwort ist für Nora Krug nicht einfach: Geboren und aufgewachsen ist sie in Karlsruhe, doch dann ist sie in der Welt herumgekommen und lebt heute als Professorin für Illustration in New York. Und immer wieder wird sie damit konfrontiert, dass Deutschland mit Nazitum und Judenverfolgung verbunden wird. Sie hat ein Bewusstsein für Geschichte und Kollektivschuld entwickelt - aber da gibt es dann ja auch noch Amerikaner, die stolz auf ihre deutsche Herkunft sind. Kann man das und darf man das? Allgemeine Antworten gibt es nicht. Und so macht sich Krug auf die Spurensuche.

Sie findet alte Dokumente wie z. B. das Manuskript von Theodor Geisel ("Dr. Seuss"), das den amerikanischen Besatzungssoldaten an die Hand gegeben wurde, Fotos von KZ-Aufseherinnen, Flohmarktartikel wie eine Lesefibel mit Nazi-Texten und Illustrationen. Sie fährt nach Deutschland und sucht in den Heimatstädten ihrer Großeltern, Karlsruhe und Külsheim, nach Spuren aus der Nazizeit: Wo haben Juden gelebt? Wie wurden sie behandelt? Schließlich, noch persönlicher: Wie haben sich ihre Familienangehörigen verhalten? Da ist der Onkel von Vaters Seite, der mit 17 Jahren in die Wehrmacht eintrat und mit 18 Jahren gefallen ist - war er ein Nazi? Wie hat sich der Großvater von der Seite der Mutter verhalten: War er ein Anhänger der Nazis oder ein Mitläufer? Sie sucht in offiziellen Dokumenten, befragt Verwandte, sichtet Fotos, nimmt Kontakt zu ehemaligen Freunden der Familie auf. Nach und nach ergibt sich ein Bild für sie, doch dessen Vorläufigkeit bleibt ihr bewusst. 

Interessant ist das Thema der Spurensuche, doch originell ist die Darstellung: Das Buch ist eine bunte Aneinanderreihung von Zeichnungen, Collagen, Fotos, Dokumenten. Das erste Doppelblatt stellt einen Stammbaum der Familie ihrer Mutter dar: Gezeichnete Figuren, auf die ein fotografierter Kopf montiert wurde, mit einer Beschriftung (Name und Lebenszeit in gelb, Beruf und manchmal familiäre Beziehung in grün), mit Pfeilen zueinander, an denen die jeweilige Beziehung auf Zetteln markiert ist. Auf dem letzten Doppelblatt findet sich das Gegenstück mit der Familie des Vaters. Diese beiden Seiten habe ich oft aufgeschlagen, um mich zu orientieren. Dazwischen: Texte über die Suche und eine Vielfalt von Bildern. Da findet sich z.B. das Faksimile eines Schulaufsatzes des gefallenen Onkels, in dem der Zwölfjährige die Juden mit einem Giftpilz vergleicht und den er mit Zeichnungen von Fliegenpilzen dekoriert hat. Viele weitere persönliche Dokumente werfen Licht auf die damalige Zeit.

Inhalt und Form dieses Buches fand ich gleichermaßen faszinierend. Eine unbedingte Leseempfehlung!

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2019 in der Sparte "Sachbuch".

Kommentare

wandagreen kommentierte am 22. Juni 2019 um 08:33

Ah, das Cover kenn ich. Das tauchte hier öfters aus. Eine sehr interessante Frage mit der Heimat. Hat die nicht auch Thea Dorn literarisch ungewöhnlich verarbeitet? Sehr schmucke Rezension! (Mit Punkten!).

wandagreen kommentierte am 22. Juni 2019 um 09:29

Professorin für Illustration -in den USA kann man für alles Prof sein.

FIRIEL kommentierte am 22. Juni 2019 um 09:47

Laut wiki war sie das vorher auch in Kiel.