Rezension

Wayne versus Annabel

Sein Name war Annabel -

Sein Name war Annabel
von Kathleen Winter

Bewertet mit 3 Sternen

Sein Name war Annabel – Kathleen Winter

Labrador um 1960 – die Menschen leben sehr naturverbunden. Die Winter sind lang, die Arbeit ist hart, die Einsamkeit zehrt an den Nerven. Als das erste Kind von Jacinta und Treadway geboren wird, erregt etwas die Aufmerksamkeit einer Geburtshelferin. Dieses Kind ist anders – es ist ein Hermaphrodit, ein Mensch mit zwei Geschlechtern. Nach kurzem Zögern entscheiden sich die Eltern dafür, diesen Säugling als Jungen aufwachsen zu lassen und geben ihm den Namen Wayne. Die Geburtshelferin Thomasina, die an einem eigenen Trauma leidet, sieht jedoch das Mädchen in Wayne und nennt ihn heimlich Annabel. Über viele Jahre begleitet sie dieses Kind und ist Ansprechpartnerin, wann immer es Hilfe benötigt. Tatsächlich sind es eher mädchenhafte Züge, die Wayne mit den Jahren entwickelt.

Es ist ein sehr besonderes, schwieriges Thema, dessen sich die Autorin hier angenommen hat. Leider muss ich dazu sagen, dass sie es nicht sonderlich gut ausgearbeitet hat. Sehr viele Behandlungsschritte in Waynes Kindheit und Jugend werden unzureichend erklärt. Beinahe vollkommen außer Acht gelassen werden die Gefühle und psychischen Probleme, die eine solche Besonderheit mit sich bringt. Das ist schade, schließlich ist das ein wichtiges Thema und die Psyche zwangsläufig in Mitleidenschaft gezogen.

Jacinta und Treadway sind einfache, naturverbundene Leute im Kanada. Sowohl diese Tatsache als auch die Zeit (um 1960) sind nicht gerade prädestiniert für eine aufgeschlossene Einstellung gegenüber Geschlechtsfindungsfragen. Die Eltern sind zugewandt und liebevoll. Insbesondere der Vater bemüht sich sehr, einen „richtigen Jungen“ heranzuziehen. Entwicklungen, die dem entgegenlaufen, werden soweit möglich ignoriert und unterdrückt. Sie meinen es gut, wollen verhindern, dass der Junge gehänselt wird.

Der Roman beginnt vielversprechend. Die Figuren sind interessant angelegt. Besonders Treadway ist ein vielschichtiger, spannender Charakter. Leider werden sie mit der Zeit immer blasser und nichtssagender. Dazu werden zahlreiche Klischees bedient. Die Rollenverteilung ist klar definiert. Keine leichte Umgebung für ein Kind wie Wayne/Annabel.

Ab der Hälfte etwa verliert der Roman leider stark. Viele Jahre und wichtige Entwicklungen werden quasi im Zeitraffer und wegen fehlenden Informationen bezüglich der erfolgten Behandlungen, teils unverständlich, abgehandelt. Dafür werden Belanglosigkeiten (wie Schulgeschichten) endlos ausgebreitet. Insgesamt hätte man das Buch leicht um die Hälfte kürzen können.

Bei aller Kritik lässt sich diese Geschichte wirklich sehr gut lesen. Es ist auch sehr interessant, der Leser fiebert mit. Jedoch hätte man aus diesem großen Thema so viel mehr herausholen können. Insbesondere die Psyche wurde nur unbefriedigend dargestellt.

Gerade noch 3 Sterne…