Rezension

Weggehen um anzukommen - Osfriesland - Berlin - Newport

Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt - Jan Brandt

Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt
von Jan Brandt

Bewertet mit 4.5 Sternen

Für Jan Brandt erwies sich die Wiedervereinigung Deutschlands als Glücksfall, denn erst die extrem niedrigen Mieten für unrenovierte Altbauten in Berlin ließen ihm Freiraum zum Schreiben. In jeder anderen Stadt hätte er erheblich mehr Zeit damit verbringen müssen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, die ihm an anderer Stelle gefehlt hätte. Brandt will endlich den großen deutschen Auswanderer-Roman schreiben. Die Hauptstadt mit schrumpfender Bevölkerung ist immer noch ein Provisorium; sie ist ihm nicht zur Heimat geworden. Die Realität zwischen  unteruntervermietetem Wohnraum  und neureichen Vermietern zeigt sich ernüchternd. Im hippen Berlin und seinen frisch gentrifizierten Kiezen kann bald von günstigem Wohnraum nicht mehr die Rede sein. Das Thema Wohnen kostet Brandt einfach zu viel Zeit. Brandts Clique  der ersten Berliner Jahre lebt immer noch prekär als Autor, Buchhändler oder Verleger, während sein Altersjahrgang in Ostfriesland so lebt, wie die Eltern es sich für ihre Kinder wünschten.

Der Autor von „Gegen die Welt“, dem Erfolgsroman über eine ostfriesische Drogisten-Familie, geht allmählich auf die 40 zu. Seine Recherchen zum Auswanderer-Roman bringen Brandt auf den Spuren seiner Verwandten nach Newport/Rhode Island  und wieder zurück nach Ihrhove/Ostfriesland. Das Grotollenhuus, das Haus des Urgroßvaters und Stammsitz der Familie, steht zum Verkauf, ein ehemaliger Kolonialwarenladen an einer belebten Straße, an dem vor 100 Jahren buchstäblich alle Wege zusammentrafen. Der Kolonialwarenladen als Ort sozialer Kontrolle erzählt eine wenig romantische Geschichte über eine Zeit, in der der Ladeninhaber alles über seine Kunden und ihre Schwächen wusste. Teil dieser Kaufmannsdynastie ist die Drogisten-Familie Kuper in Brandts „Gegen die Welt“. Die Familiengeschichte der Brandts erzählt von einer Epoche, in der mehrere Generationen  einer Großfamilie samt Gesinde noch unter einem Dach wohnten und Lebensmittel für den Eigenbedarf im Selbstversorger-Garten  anbauten. Wer nicht im Familienbetrieb unter seinem strengen Vater arbeiten wollte, wanderte aus oder gründete einen eigenen Betrieb.

Der bevorstehende Verkauf des ehemaligen Brandtschen Kaufhauses markiert Strukturprobleme einer rein  äußerlich intakten Kultur von Berufspendlern. Wenn die Leute nicht mehr im Ort einkaufen, lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen. Jan Brandt fragt sich, ob er sich ein Leben in Berlin noch leisten kann – und ob er sich dieses riesige alte Haus in Ostfriesland  leisten will, nachdem der optimale Zeitpunkt zum Kauf längst verpasst ist.

Jan Brandt musste nach dem Abitur Ihrhove verlassen, um Autor zu werden, und steht nach Lehr- und Wanderjahren nun vor der Entscheidung, ob er wieder in seinen Heimatort zurückkehren will. Das Haus der Großeltern konfrontiert ihn in der Lebensmitte  mit der Geschichte seiner Familie  und der Region.  Lesern von „Gegen die Welt“ liefert Brandt hier interessante Blicke auf Vorfahren seiner Drogisten-Dynastie Kuper.