Rezension

Weltkrieg, Mord und IRA-Terror

Die Schatten von Cambridge -

Die Schatten von Cambridge
von Jim Kelly

Bewertet mit 4 Sternen

REZENSION – Bei der Vielzahl historischer deutscher Krimis, deren Handlung in den Jahren der Weimarer Republik und des Zweiten Weltkriegs angesiedelt ist, ist bei neuen Romanen kaum Neues zu erwarten. Da bringt ein Blick ins Ausland willkommene Abwechslung – wie die neue Krimireihe des britischen Schriftstellers und Journalisten Jim Kelly (66) um Detective Inspector Eden Brooke. Darin erleben wir, als Rahmen spannender Mordfälle anschaulich und überzeugend beschrieben, Alltagsleben und zunehmende Kriegsangst der Bevölkerung der historischen Universitätsstadt Cambridge ab dem Jahr 1939.

Nach „Die dunklen Stunden der Nacht“ (2021) befinden wir uns im zweiten Band „Die Schatten von Cambridge“, im November 2022 beim Lübbe-Verlag erschienen, bereits im Winter 1940. Wehrfähige Männer sind zum Kriegsdienst eingezogen, Ruheständler als Ersatz in ihre früheren Berufe zurückgeholt. Erste Angriffe der deutschen Luftwaffe auf London sorgen für zunehmende Verunsicherung, Stadtkinder werden in die ländliche Provinz evakuiert. Knapp gewordene Lebensmittel werden nur gegen Bezugsschein abgegeben. Großbritannien rechnet mit der Invasion deutscher Truppen. Doch es gibt nicht nur den Kampf gegen Deutschland. Zugleich terrorisieren die nordirischen Kämpfer der Irisch-Republikanischen Armee das Land mit Bombenanschlägen.

Inspector Eden Brooke, der seit seiner Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg, in der er nachts gefoltert und geblendet wurde, an Schlaflosigkeit (Insomnie) und Lichtempfindlichkeit (Photophobie) leidet, läuft in einer dunklen Winternacht ziellos durch die Straßen von Cambridge. Plötzlich hört er Hilferufe vom Fluss: In einem Sack verschnürt, treibt ein kleiner Junge hilflos in eiskalter Strömung. Der Rettungsversuch misslingt, die Leiche des Jungen, der, wie sich später herausstellt, zuvor schwer verletzt worden war, wird später gefunden. Wie die Ermittlungen ergeben, handelt es sich um einen irisch-stämmigen Jungen, der mit Gleichaltrigen aus London evakuiert und auf dem Gelände der St. Alban's Church untergebracht worden war. Tags darauf explodiert auf einem Fabrikgelände, in dem kriegswichtige Radar-Komponenten hergestellt werden, eine kleine Bombe, die auf die IRA hindeutet. Der Inspector vermutet einen Zusammenhang zwischen beiden Fällen. „Aber das Kind war ein Gast, das niemanden hier kannte. Wie konnte dieser kleine Junge eine Gefahr für irgendjemanden dargestellt haben? Unterhielt seine Familie Verbindungen zur IRA?“ Gemeinsam mit Sergeant Edison ermittelt Brooke unter Zeitdruck, denn Prinz Henry, Bruder des britischen Königs Georg VI., will die Universitätsstadt besuchen.

„Die Schatten von Cambridge“ ist ein ruhiger, aber deshalb nicht weniger spannender Krimi. Überraschende Wendungen führen immer wieder zu neuen Erkenntnissen und bringen neuen Schwung. Kellys Hauptfigur, der kriegsversehrte Inspector Brooke, ist wahrlich kein Super Action Hero – seine vielen Wege durch die Stadt muss er bei Schnee und Regen sogar zu Fuß erledigen! –, sondern überzeugt als besonnen und empathisch handelnder Kriminalbeamter sowie als ein mit seinen Leiden kämpfender, lebenserfahrener Familienvater. Doch der Reiz des Romans liegt nicht allein in seiner Handlung. Vor allem die detaillierte Beschreibung der Universitätsstadt mit ihren historischen Gebäuden, engen Straßen und alten Brücken sowie des Alltagslebens der Bevölkerung von Cambridge unter Kriegsbedingung ist für uns Deutsche eine neue und interessante Erfahrung. Man darf auf den dritten Band dieser Krimireihe gespannt sein. Das Original „The night raids“ erschien bereits vor drei Jahren und spielt im Sommer 1940 zu Beginn der berüchtigten Luftschlacht um England.