Rezension

Wie der große Gatsby am Meer, wundervoll!

Der Garten über dem Meer - Mercè Rodoreda

Der Garten über dem Meer
von Mercè Rodoreda

Der Garten über dem Meer erzählt eine Geschichte von Geld und Liebe, von Status, Glamour, Sehnsucht und Aufrichtigkeit. Das Setting ist klassisch und erinnert an Der große Gatsby: Eine scheinbar glückliche Heirat, die für eine junge Frau den sozialen Aufstieg mit sich brachte, doch die Zweifel der aufgegebenen Liebe nagen an ihr. Dann beginnen die Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück. Es entsteht ein modernes, imposantes und vor Reichtum nur so strotzendes Haus, das erst nach einigen Jahren fertig gestellt wird. Mit dem Einzug des ebenfalls jungen und reichen Paares beginnt die Stimmung zu kippen und die Fassade der Protagonisten zu bröckeln.
Eine klassische wie menschliche Geschichte wird hier erzählt, die man schnell in die Zeit der Lost Generation verorten kann: Die Zeit des bröckelnden Reichtums und der endlosen Parties und dem bittersüßen melancholischen Unterton sind allgegenwärtig. Ähnlich wie bei Der große Gatsby wählt die Autorin einen eher unbeteiligten Erzähler, der immer etwas abseits der Handlung und der Dramen steht und doch wichtige Bezugsperson für die Protagonisten ist. Doch während es im Gatsby der Cousin der Protagonistin ist und dieser deshalb aktiv an Parties und Dinners teilnimmt, wählt Rodoreda den namenlosen Gärtner als Erzähler ihrer Geschichte, der durch Stand und räumliche Trennung selten bei den Gesprächen der Figuren dabei ist. Diese ungewöhnliche wie einschränkende Perspektive verleiht der an sich bekannt wirkenden Handlung einen ungewöhnlichen Dreh: Ausschnitthaft und mit vielen Jahren Abstand erzählt der inzwischen alte Mann von dieser traurigen Liebesgeschichte. Trotzdem wird er immer wieder in die Handlung eingebunden, er wird Träger von Geheimnissen, erfährt Klatsch von den Hausangestellten, wird stummer Zeuge von Gesprächen während seiner Arbeit im Garten. Außerdem suchen einige Figuren bewusst seine Nähe, die Schichten verschwimmen und es wird deutlich, dass der (angeheiratete) Reichtum nicht zu tiefem Glück führt. Der schlichte, hart arbeitende Gärtner, der sich an der Schönheit des Gartens erfreut, sich aber nicht danach sehnt, ihn zu besitzen, sondern die Natur an sich genießt, wird zum Gegenentwurf der dauerfeiernden und stets ziellosen Neureichen. Seine innere Zufriedenheit steht abseits der Dramen.

Etwas blass bleibt die weibliche Hauptrolle in diesem Drama: Die Figur der Rosamaria bleibt eine ätherisch schöne Erscheinung, erst in einer der letzten Szenen meldet sie sich selbst zu Wort. Wir erfahren recht wenig über ihre Gefühle, ihre Sicht der Dinge und ihre Entscheidung, den reichen Francesc zu heiraten. Sie wirkt fast wie eine schöne und zerbrechliche Blume in diesem stimmungsvollen Setting am Meer. Sie steht nachts auf ihrem Balkon und schaut auf das Meer hinaus. Wartet sie oder versucht sie ihre Gedanken zu ordnen? Er gelingt nicht, einen richtigen Zugang zu dieser Figur zu finden.
Die Interpretation dieser Figur überlässt man dem Leser – wie an vielen Stellen. Rodoreda arbeitet hier mit vielen Leerstellen und einem sehr ausschnitthaften Stil, der Erzähler ist hier kein allwissender, sondern ein ganz einfacher Mann, der den Glanz und die Schönheit des jungen Paares bewundert und sich gern an die glamourösen Sommer zurückerinnert.

Der impressionistische Erzählstil, die dahinfließende Erzählung und vor allem die ausufernde Naturbeschreibung erinnern an den deutschen Vertreter des Impressionismus Eduard von Keyserling. Der Garten und die verschiedenen Blumen werden immer wieder in die Erzählung einbezogen. Für den Gärtner ist es natürlich relevant, wann er welche Veränderungen im Garten vorgenommen hat, welche Blumen im jeweiligen Sommer besonders schön blühten oder welche Samen er gerade einsammelte, als die Herrschaften an ihm vorbeispazierten. Blumen und der Wechsel der Gezeiten sind wiederkehrende Motive, die auch auf die zunehmenden Spannungen zwischen den Eheleuten verweisen.
Mercè Rodoreda gilt bis heute als die bedeutendste katalanische Autorin und ihrem Roman Auf der Plaça del Diamant (1962) erlangte sie den internationalen Durchbruch. Dieses Werk gilt als die beste Darstellung des Spanischen Bürgerkriegs. Dass Der Garten über dem Meer erst jetzt in Deutschland entdeckt wurde, ist verwunderlich und zugleich doch ein Glücksfall. Denn diese wundervoll lyrische und leichte Erzählweise sind eine Entdeckung, der man sich mit Genuss hingeben sollte. Dem Mare Verlag ist es gelungen mit der prachtvollen Bindung und der luxuriösen Ausstattung dem Inhalt die absolut gerecht zu werden.
Das Buch hat mich zugleich fasziniert und doch manchmal ein wenig gelangweilt, denn der Erzähler braucht lange, um zu den eigentlich relevanten Punkten zu kommen. Wie verwundert schaut der Gärtner auf die Dramen, die sich mehr oder weniger offen vor ihm abspielen. Ja, die Autorin macht es einem manchmal nicht leicht, sie präsentiert nicht die gesamte Story, sie erwartet, dass man die leisen Zwischentöne richtig zu deuten. Die Handlung mit all den Geheimnissen der Figuren enthüllt sich erst langsam vor dem Leser und manche Geheimnise bleiben verborgen.

Fazit: Für mich ein außergewöhnliches Leseerlebnis für geduldige Genussmenschen. Hier steht nicht unbedingt die Handlung selbst im Vordergrund, sondern vielmehr die Schönheit der Worte, die Sehnsucht nach Ruhe und Sonne. Wer ein paar Stunden gedanklich durch einen wunderschönen Garten am Meer spazieren möchte, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen. Ich habe es nicht zum letzten Mal getan.