Rezension

Dekadente Melancholie aus zweiter Reihe

Der Garten über dem Meer - Mercè Rodoreda

Der Garten über dem Meer
von Mercè Rodoreda

Bewertet mit 4 Sternen

In der Nähe von Barcelona. Ein Aussenbezirk. Am Meer. Hier ist der Garten des Gärtners eine Oase, eine Idylle, ein Kleinod, jedenfalls dann, wenn er richtig bearbeitet wird und der Gärtner sein Handwerk versteht.

Und im Garten über dem Meer versteht einer sein Handwerk. Der besonnene ältere Herr, der Gärtner, ist einzige erzählende Person, angestellt bei den Herrschaften, die jeden Sommer hier ihre Ferien verbringen. Sehr ausgedehnte Ferien sind es, in denen gebadet wird, gerudert und Motorboot gefahren, es wird Wassersport betrieben, beigebracht vom eigens angereisten Wasserskilehrer, ausgelassene Feste werden gefeiert und ansonsten vertreiben sich die Reichen und Schönen ihre Langweile mit allerhand exotischem Tierzeugs, ob mit erlesenen Pferden, (Pferdepfleger inklusive), einem jungen Löwenbaby, einem Affen; Tiere, die sie aus Unwissenheit und Dummheit teils zu Tode lieben.

So sorgsam wie der Gärtner sich seinen Pflanzen widmet, so sorgsam gibt er sich auch den Beobachtungen der Herrschaft hin und durch seine Betrachtungen kommt er ihnen näher. Sie sind ein wenig wie die Blumen in dem Garten, den er sachkundig verwaltet, sie haben Knospen, blühen auf, werden von Schädlingen bedroht, leuchten auf und verblühen wieder.

Da ist ein junges Paar, das das erste Kind erwartet, da sind Verwandte, viele Freunde, Künstler, Angestellte wie er. Alle miteinander lustwandeln im Garten, halten einen Plausch mit ihm, besuchen ihn in seinem Häuschen nahebei. Im ersten Jahr ist alles hell und licht.

Im zweiten Jahr schon kündigen sich Veränderungen an. Das  Grundstück direkt nebenan wird gerodet, der neureiche Besitzer taucht auf und auch er spricht mit dem Gärtner, bezieht ihn ein in seine Gedanken und erzählt ihm sein Leben. Genau wie seine Herrschaften verfolgt der Gärtner neugierig, neidisch und ein wenig missgünstig, was sich „da drüben tut“. Denn ein Konkurrenzbetrieb entsteht.

Konkurrenz ist, was das Geschäft belebt. Die beiden Sommerparteien beginnen sich zu beäugen, treten in Beziehung miteinander; unauffällig belauert man einander, während man lächelnd Drinks mixt, sich Artigkeiten sagt und sich auch mal eine reinhaut.

Sommer, Sonne, Strand und Luxus. Und viel Gefühl. Mehr als gut tut. Jeder hat ein Geheimnis. Der Gärtner kennt alle. Er ist der Kummerkasten, dem jeder vertraut. Und er kennt das Hausmädchen, die Köchin, die beiden Pferdepfleger und den Gastwirt im Dorf, die ihm alle zusammen die restlichen Puzzleteile liefern, die noch fehlen für das Gesamtbild des herrschaftlichen Lebens in den beiden Häusern.

Der Leser sitzt in der Erzählung von Mercè Rodoreda mit dem Gärtner in der zweiten Reihe. Er wird nie eingeladen zu den Festen. Er bleibt aussen vor und sieht durch Fensterglas, muss Distanz halten. Und doch sieht er alles und bekommt alles mit selbst nachts: "Ich bin immer schon gern nachts durch den Garten gestreift, um ihn atmen zu hören" sagt er und so entgeht ihm nichts, weder die Dekadenz, die Langeweile, die Unbesonnenheiten in brütender Hitze, die lauen Nächte, die Liebschaften, Eifersüchteleien, die Sehnsüchte. Und das Drama, das seinen feinen Verlauf nimmt.

Dieses Buch ist so langsam wie das Gedeihen im Garten, Leben entwickelt sich bedächtig. Man muss Geduld haben bis die Geschichte ihren Höhepunkt entfaltet. Die Rahmenhandlung besteht in den Arbeiten des Gärtners und dessen eigener Liebesgeschichte. Er hat ja auch eine. Auch wenn sich nicht jeder dafür interessiert von den feinen Herrschaften.

Fazit: Die Autorin entwickelt ihren Stoff sensibel, eine Blume nach der anderen trägt Blüten, entwickelt spezielle Farbe und Geruch und verwelkt. Gefällt’s denn? Nun ja. Der ungeduldige Leser des 21. Jahrhunderts, der intensivere Nähe sucht und mit ARD und ZDF in der ersten Reihe sitzt, könnte sich schon etwas schwer tun mit dem Duft der melancholischen spanischen Blüten.

Mit einem Nachwort von Roger Willemsen.

Kategorie: gehobene Literatur; Verlag: Mare, 2014

Kommentare

LySch kommentierte am 20. Februar 2017 um 17:41

Tolle Rezi! Das Buch ist schon lange auf meiner WuLi ;) Mal sehen, was ich zum Osterwichteln bekomme ;)