Rezension

Der Garten über dem Meer

Der Garten über dem Meer - Mercè Rodoreda

Der Garten über dem Meer
von Mercè Rodoreda

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Haus in Katalonien, unweit Barcelona. Ein weiter Garten über dem Meer. Irgendwann in den Zwanziger- oder Dreißiger Jahren, die Jeunesse dorée genießt noch ihr Leben und ihren Reichtum unbeschwert und in vollen Zügen. 

Die großen Tragödien und Umwälzungen in Europa und der ganzen Welt scheinen noch fern. 

So auch für das junge reiche Paar, das das Haus bezieht, umbauen lässt und fortan die Sommermonate hier verbringt. 
Zusammen mit Freunden wird bebadet, gegessen und getrunken, gemalt, werden Ausflüge gemacht und Feste gefeiert. Eine Idylle, getragen nicht nur von finanzieller Unabhängigkeit, sondern auch von Liebe und Freundschaft. 
Veränderung bringt der neue Nachbar, dessen Schwiegersohn der jungen Dame des Hauses nicht unbekannt zu sein scheint. Wie alle Personen umgibt sie ein gewisses Rätsel, eine eigene Geschichte und auch eine gewisse elementare Einsamkeit. 

Davon erzählt uns der alte Gärtner in der Rückschau. 
Er ist der Zuschauer am Rand und doch eine Art Zentrum, denn fast alle Bewohner stehen in einer vertrauten Beziehung zu ihm, suchen seine Nähe, seien es die "Herrschaften", seien es die Bediensteten. Distanziert schaut er auf das Treiben, hört das ein oder andere belauschte Gespräch oder Gerücht. Macht sich seine Gedanken, wohl auch kritische, verurteilt aber nicht. 
Seine Haltung ist am ehesten die des zuschauenden, wohlwollenden Großvaters, der auf seine Schar übermütiger Enkel blickt. 

"Ich habe immer gerne erfahren, was den Leuten so alles passiert, und das nicht etwa, weil ich neugierig wäre...Eher, weil ich Menschen mag, und die Besitzer dieses Hauses mochte ich sehr"
beginnt er seinen Bericht über "sechs Sommer und einen schlimmen Winter". Und er relativiert sogleich die Zuverlässigkeit des Erzählten: 
"Aber das alles ist schon so lange her, dass ich mich an vieles nicht mehr erinnere, ich bin zu alt und bringe manchmal Dinge durcheinander, ohne es zu wollen...". 
Zugleich kann er durch seine Position als Gärtner gar nicht alle Hintergründe des Geschehens erfahren, bekommt auch viele Dinge nur zugetragen.
Das erschafft eine eigenartige Distanz zum Geschehen, dessen Tragik gleich zu Beginn angedeutet wird. 

"Sie waren so jung und so reich...und hatten alles...und dann geschahen zwei schlimme Dinge." 
Unglücke, die dann im Erzählfluss selbst eher nebenbei abgehandelt werden, obwohl sie das Leben der Personen und auch des Gärtners selbst nachhaltig verändern. 
Aber er lebt im Rhythmus der Natur, der Jahreszeiten, dem steten Werden und Vergehen seines Garten, hängt selbst seinem eigenen großen Verlust, dem seiner geliebten Frau, nach. 
Der Text hat etwas Schwebendes, Träumerisches, ja trotz der geschilderten Sommerfreuden Herbstliches an sich. Aber auch im Winter liegt immer die Hoffnung auf einen nächsten Frühling und üppigen Sommer. Und so endet auch das Buch trotz Verkauf von Haus und Garten hoffnungsvoll.  

Mercè Rodoreda findet für die Erzählung des Gärtners einen wunderbaren Ton. Einfach, naturverbunden, lakonisch und doch poetisch. 

"Sehen Sie sich den Garten an. Dies ist die beste Tageszeit, um seine Kraft zu spüren und seinen Duft zu riechen. Sehen Sie sich die Linde an. Sehen Sie, wie die Blätter zittern und uns lauschen? Sie lachen... Wenn Sie eines Nachts unter den Bäumen spazieren gehen, werden Sie schon hören, was Ihnen dieser Garten alles zu erzählen hat..." Wir gingen dort auseinander, am Fuß der Aussichtsterrasse, und das war, wenn man so will, das Ende der Geschichte." 

Eine ganz wundervolle Wiederentdeckung dieses Romans, der bereits 1967 erschienen ist, in einer wunderschönen Leinenausgabe im Schuber.