Rezension

Wie Schuld und Scham eine Frau zur Mörderin machen

Vergeltung (Kurzgeschichte, Krimi) - Rainer Güllich

Vergeltung (Kurzgeschichte, Krimi)
von Rainer Güllich

Bewertet mit 4 Sternen

Harter Tobak in Kurzgeschichtenformat! Schnell für zwischendurch ... läßt mich verstört zurück und beschäftigt mein Kopfkino!

Wer einen klassischen Krimi erwartet, in dem man sich zB mit den Ermittlern auf TäterInnen-Suche begibt, wird enttäuscht, denn in vorliegendem Fall ist die Täterin schnell klar. Sie läßt einem an ihrer Tatvorbereitung, der Tat und den Polizeiverhören teilhaben.

Es ist jedoch schwer, sich in die Protagonistin Marianne Brunner einzufühlen, denn sie zeigt selbst kaum Gefühle, läßt diese auch nicht zu bzw. kann sie nicht wahrnehmen. Dies ist auf ihre traumatischen Erfahrungen als 9jährige, deren unzureichende therapeutische Auf- und Bearbeitung und das Wiedererleben als Erwachsene zurückzuführen.

Der beruflich desillusionierte Kommissar Gruber erscheint noch am emotionalsten und kann in Marianne offensichtlich einen Hauch jener Frau erkennen, die sie vielleicht hätte sein können ...
Es ist verstörend, dass ein Opfer aus Schuld und Scham zur Mörderin wird und danach die Haft als "befreit" antritt.

Es ist eine besondere Leistung des Autors, dieses ganze Drama über das Leben und Morden von Marianne Brunner in so wenige Seiten (als Kurzgeschichte) zu packen.
Auch ist es Rainer Güllich sehr gut gelungen, das emotional minimalistische Verhalten vieler Traumatisierter darzustellen, zumal er offensichtlich gegen das eigene Naturell geschrieben hat, denn in seinem Autorenprofil habe ich ihn als eloquent und humorvoll wahrgenommen.

Als "Bonus-Track" fungieren die vorab präsentierten "Merkmale einer Kurzgeschichte" seitens des dp DIGITAL PUBLISHERS Verlags, die einem das Kennenlernen und Reinfinden in das Genre "Kurzgeschichte" erleichtern.

Fazit:
Harter Tobak in Kurzgeschichtenformat ... zwar "schnell für zwischendurch" gedacht, aber es beschäftigt nachhaltig mein Kopfkino!