Rezension

Winter des Lebens

Winterjournal - Paul Auster

Winterjournal
von Paul Auster

Bewertet mit 4 Sternen

Ein ganz ungewöhnlicher, packender Ansatz, über das eigene Leben zu berichten. Paul Auster, zur Zeit der Entstehung des Winterjournals gerade 64 geworden, geht nicht chronologisch vor. Er springt vielmehr in den Zeiten und den Lebensorten. Es ist keine zusammenhängende Lebensgeschichte, die er vorlegt, sondern gleicht eher einer Aufzählung von prägenden Momenten, nicht bewältigten und unvergessenen Situationen, Leitmotiven seines Lebens. Hier scheint jemand zu versuchen, Ordnung ins Chaos des eigenen Lebens zu bringen. Eine Selbstvergewisserung an einem Punkt im Leben, der die Zielgerade vor sich sieht. Dieser persönliche Ansatz wird auch dadurch unterstützt, dass Paul Auster durchgehend in der zweiten Person mit sich spricht. Das erzeugt eine ungeheure Privatheit und verdeutlicht auch die Diskrepanz, die zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung besteht. Austers Reflexion über das eigene Leben ist von einer tiefen Melancholie durchdrungen, auch wenn er immer wieder betont, wie glücklich sein Leben ist, zumal in der Ehe mit seiner großen Liebe, der Schriftstellerin Siri Hustvedt, die mittlerweile über 30 Jahre andauert. Mit großer Ehrlichkeit widmet er sich auch den eigenen Unzulänglichkeiten, Situationen, in denen er nach eigener Meinung versagt hat. Viel Raum bietet er körperlichen Gegebenheiten, er selbst spricht einmal von einem "Katalog der Sinnesdaten", den er mit dem Buch erstellen möchte. So zählt er alle Narben seines Körpers auf und wie sie entstanden sind, handgreifliche Auseinandersetzungen, immer wieder sexuelle Begegnungen, auch mit Prostituierten. Er listet alle Wohnsitze auf plus die dazugehörenden Phasen seines Lebens. Seine Sprache ist eilig voraneilend, dann wieder in Details verharrend, z.B. als er minutiös den Film D.O.A. beschreibt, den er eines Abends sieht. Dabei entsteht eine ungeheure Zugewandtheit dem Leser gegenüber, die vielleicht auch erklärt, warum man diese - eigentlich oft - Banalitäten doch so interessiert verfolgt. Immer wieder kommt der Bericht zum Thema Tod - dem Tod eines Freundes durch einen Blitzschlag, den der 14jährige unmittelbar miterlebt, den Tod von Großeltern, Mutter, Vater, dem unfassbaren Mord der Großmutter am Großvater, dem Beinahetod der eigenen Familie bei einem Autounfall. Paul Auster kommt dem Leser sehr nahe in diesem Winter Journal und zeigt eine neue, faszinierende Form der Autobiographie.