Rezension

Zombiemäßiger Verwesungsprozess

Ich verwese -

Ich verwese
von Tanja Hanika

Bewertet mit 5 Sternen

Elisa ist mit ihren Kindern beim Zahnarzt, als das Chaos ausbricht. Nach einem Anruf ihres Mannes bricht sie sofort in ihr Zuhause auf, wo sie sich vor der Außenwelt verbarrikadiert. Aber kann es sein, dass das wirklich passiert?

„Ich verwese“ ist ein Shocking Short von Tanja Hanika, der das Leben nach dem Tod als Hauptmotiv hat.

Eigentlich mag ich Kurzgeschichten nicht. Aber manchmal springe ich über meinen Schatten, und habe dadurch schon öfter ansprechende Entdeckungen gemacht. Ich habe zu „Ich verwese“ gegriffen, weil ich die Autorin aufgrund anderer Bücher schätze und die bisherigen Meinungen zu dieser Geschichte überdurchschnittlich ausgefallen sind. Zuerst hatte ich Zweifel, ob die wenigen Seiten zum Gruseln taugen und Angst einflößen. Aber ganz ehrlich: Ich habe bisher keine so kurze und gleichzeitig so gelungene  Zombie-Geschichte gelesen. 

Protagonistin Elisas Leben verläuft durchwegs normal. Als Leser erhascht man Einblick ins Familien-Idyll, ist beim Frühstück dabei, neckt die Kinder und startet einen neuen Tag voller Tatendrang.

Während eine Banalität wie der Kontrollbesuch beim Zahnarzt abgehandelt wird, bricht rundherum die Zombie-Apokalypse aus. 

Autorin Tanja Hanika hat diesen Ausbruch mitreißend beschrieben. Mir gefällt besonders, wie sie dabei die Realität im Auge behält. Obwohl wir durch Serien, Filme und Büchern mit Endzeit-Wissen und Zombie-Fakten vollgesogen sind, macht Elisa entscheidende Fehler, die sie eigentlich aus medial verbreiteten Legenden kennt. 

Ich habe mich früher bei Endzeit-Filmen oft gefragt, warum die Menschen zur Arbeit gehen, wenn die Apokalypse an die Tür klopft. Als dann eine Pandemie über uns hereinbrach, habe ich mir auch bloß morgens mein Müsli geschnappt und mich auf den Weg in die tägliche Routine gemacht.

Diese Komponente spielt Hanika bemerkenswert souverän aus und nimmt dadurch gleichzeitig den Gewöhnungseffekt raus, falls man in dem Genre schon mehrere Abenteuer hinter sich hat. 

Und dann kommt der Clou, der aufgrund seiner Banalität absolut genial ist. Als Leser nimmt man die Zombie-Perspektive ein und hinkt nach Fleisch lechzend der Meute hinterher, die in verschiedenen Stadien der Verwesung ist.

Damit lässt sich die Kurzgeschichte in zwei Teile gliedern. Zuerst ist es der blanke Horror und ein Kampf um’s Überleben, bei dem das Adrenalin durch die Adern rauscht. Danach folgt der radikale Perspektivenwechsel, der den Leser in das teilnahmslose Leben eines wandelnden Toten versetzt.

Hanika berührt emotional. Sie erregt Abscheu, Mitleid, es ekelt einen, während man umblättert. Dazwischen wechseln sich Hoffnung und absolute Todesangst ab, wobei man vom Verwesungsgestank ins Nirwana befördert wird. Sehr genial erzählt!

Zu guter Letzt ist dieser Shocking Short nichts für zarte Gemüter, weil die Autorin meiner Meinung nach auf einem hohen Horror-Level schreibt. Wer sich dem gewachsen fühlt, hat mit „Ich verwese“ jedenfalls eine hemmungslos grausige Kurzgeschichte zur Hand.