Rezension

Zu viel Selbstmitleid, emotionale Erpressung und Tränendrüse - Nein, danke!

Flüsterherz - Debora Zachariasse

Flüsterherz
von Debora Zachariasse

Tibby leidet. Unter ihrer Mutter, die sich für einen unrentablen Modeladen aufopfert und ihr nicht zuhört. Unter ihrem Vater, der mit einer Band duch die Welt tourt und sich permanent zu dröhnt, auch wenn er die wenige Freizeit mit seiner Tochter verbringt. Dem wenigem Geld, dem dreckigen Haushalt. Unter dem Druck in der Schule. Und nicht zuletzt ist da der Gedanke, sie sei  aufgrund ihrer Hauptfarbe weniger wert als andere.

Doch all das sieht Anna nicht, als sie sich mit Tibby, die mitten im Schuljahr auf ihr Gymnasium wechselt, anfreundet. Anna kommt aus einer makellosen Familie, hat oberflächliche Freunde, lebt für gute Noten und spielt Geige. Ihre Eltern verdienen gutes Geld, leben in einem tadellosen Haus und können sich sogar eine Haushaltshilfe leisten. Sie lernt während den Besuchen bei Tibby, was es bedeutet, frei zu sein und keine Verpflichtungen zu haben. Empfindet die Unordnung, die in Wirklichkeit Dreck ist, als etwas Schönes. Dennoch erlebt sie mit Tibby einen fabelhaften Sommer, indem sie sich sogar das erste Mal verliebt und sich etwas aus den Fesseln ihrer Eltern löst. Bis sich Tibby verändert, der Fassade nicht mehr standhält.

Kaum hatte ich die Hälfte des Buches gelesen, hat mich Tibby angefangen zu nerven. Permanent fordert sie von ihren Mitmenschen und wenn sobald etwas nicht nach ihrer Vorstellung läuft, greift sie zur emotionalen Erpressung. Braucht man sie, ist sie nicht da. So hat es dann auch nicht lange gedauert, bis mich Anna mit ihrer selbstaufopfernden, naiven Art gestört hat. Es mag zwar löblich sein, sich für eine Freundin einzusetzen und ihr zu helfen zu wollen, aber wenn diese dann auch noch undankbar ist hätte ich persönlich dieFreundschaft schnell wieder beendet und vor allem würde ich von keinem Menschen derart ausnutzen lassen. Alles hat irgendwo seine Grenzen.

Fasziniert dagegen hat mich der Schreibstil der Autorin. Aufgrund der Beschreibung und auch der Leichtigkeit, mit der Debora Zachariasse mit Worten arbeitet, hatte ich auf eine leichte Sommerlektüre gehofft über der eine dunkle Wolke schwebt. Stattdessen ist dem aufmerksamen Leser schon nach den ersten Seiten klar, wie das Buch enden wird und auch der schöne Sommer, den die Tibby und Anna miteinander verbringen, erstreckt sich nur über wenige Kapitel. Die Atmosphäre kam zwar herüber, aber er war dann doch viel zu schnell vorbei. Der Zauber, den hauptsächlich die Sprache der Niederländerin ausgelöst hat, verflog für mich spätestens nach 150 Seiten. Aber diese haben mir wirklich ganz ausgezeichnet gefallen.

Leider habe ich aber noch mehr zu bemängeln: Inhaltlich kommt das Buch sehr flott voran, aber trotz der Fülle an Handlung passiert meiner Meinung nach absolut nichts, was es rechtfertigen würde, darüber ein Buch zu schreiben: Die erste Liebe, eine verkorksteFreundschaft und eine eher harmlose, völlig normale Rebellion gegen Eltern und Schule. Wer kennt das nicht von sich selbst? Da die Bewertungen aber doch alle sehr gut waren, musste da doch noch irgendein Clue, etwas Besonderes sein? Aber da kam nichts! Das Leben der beiden plätschert so vor sich hin, wie das jeder anderen 14 Jährigen auch. Ganz normal und für mich als Leserin gähnend langweilig.

Aber »Flüsterherz« vermittelt eine wichtige Botschaft an den jungen Leser. Und zwar, dass es wichtig ist, auf seine Mitmenschen zu achten und ihnen zuzuhören. Da dieses Buch für eine Zielgruppe ab 14 Jahren deklariert ist, halte ich dies für gut und auch richtig. Aber auch 14 Jährige haben sicherlich einen gewissen Anspruch an ein Buch und wollen nicht mit einer solch flachen Geschichte abgespeist werden. Ich weiß nicht, ob mir irgendetwas Wichtiges entgangen ist oder ob ich mit meinen 20 Jahren einfach schon zu alt bin, um Gefallen daran zu finden.

Zu Gute halten muss ich der Autorin, dass sie es trotz allem geschafft hat, mich an ihren Sätzen kleben zu lassen. Das Buch lässt sich gut und gerne an einem Tag weglesen und ich stehe mit meiner Meinung offensichtlich ziemlich alleine dar. Dass jüngere Leser, die in einem ähnlichen Umfeld wie die Protagonistin Anna aufgewachsen sind, Gefallen an der Geschichte finden, kann ich mir gut vorstellen. Es macht den ein oder anderen bestimmt nachdenklich: Das Leben besteht nicht nur aus guten Noten. Dass »Flüsterherz« Jugendliche, die einen wirklich schwierigen Hintergrund haben, Mut geben kann, glaube ich aber nicht.

Insgesamt kann ich nur eins sagen: Schade. Ich bin mir sicher, dass sowohl aus der Handlung, als auch aus der Atmosphäre mehr hätte werden können. Die Autorin kann meiner Meinung nach ganz fabelhaft schreiben, aber hat es nicht geschafft, dass ich für eine ihrer Figuren mein Herz geöffnet habe. Dafür habe ich einfach zu viele Leute getroffen, denen es schlechter geht und für solche Hilfe dankbar gewesen wären. Die Freude, die ich anfangs an dem Buch hatte, ist schnell verpufft gewesen und deswegen kann ich nur zwei Sterne vergeben.