Rezension

Zwei Frauen - zwei Wahrnehmungen - ein Unfall: Wer lügt?

Nacht über Tanger, 8 Audio-CDs - Christine Mangan

Nacht über Tanger, 8 Audio-CDs
von Christine Mangan

Bewertet mit 4 Sternen

Gestaltung
Kommen wir zuerst zur Gestaltung des Hörbuchs. Nacht über Tanger wurde ungekürzt produziert und umfasst acht CDs. Eine CD geht ungefähr eine Stunde. Das fand ich eine sehr angenehme Spieldauer, da man eine CD gut an einem Tag hören kann und so nicht das Gefühl hat, einen Berg von Hörbuchtracks vor sich zu haben.

Wie im Klappentext zu erkennen ist, wird die Geschichte aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt. Und zwar aus der Sicht von Lucy und aus der Sicht von Alice. Daher kommen hier auch zwei Sprecherinnen zum Einsatz: Nämlich Bibiana Beglau und Friederike Kempter. Leider wurde im Hörbuch nicht erwähnt, welche der beiden Frauen welchen Charakter gesprochen hat. 

Beide Sprecherinnen haben sehr gut miteinander harmoniert. Die Sprecherin, die in Alices Perspektive geschlüpft ist, hat eine etwas hellere Stimmfarbe und wirkte daher auch etwas jünger, als die Sprecherin, die Lucy eine Stimme gab. Interessant war auch, dass die beiden Stimmfarben die Charaktere der beiden Frauen gut untermalt haben.
Alice wirkt, obwohl sie bereits verheiratet ist und mit ihrem Mann im Ausland lebt, kindlich und nicht so, als ob sie ihr Leben selbst gestalten könnte.

Lucy hingegen vermittelt den Eindruck, dass sie schon früh Verantwortung übernehmen und sich durchbeißen muss. Nun kommt sie nach Tanger um ihrer Freundin Alice beizustehen, der es in der Fremde offenbar nicht gut zu gehen scheint.

Schnell wird klar, dass beide Frauen eine verschiedene Sicht auf die Geschehnisse haben. Der Hörer fragt sich, welche der beiden Frauen lügt. Oder ob die Wahrheit einfach je nach dem unterschiedlichen Blickwinkel, woanders liegt. 
Mir lag die Perspektive von Alice aufgrund der hellen Stimmfarbe fast etwas besser. Allerdings hält Lucy auch einige, sehr gut ausgearbeitete Charakterzüge für uns bereit. 

Inhalt / Spannung 
In Nacht über Tanger begegnen wir zwei Frauen, die nicht unterschiedlicher sein können: Alice kommt aus einem guten Haus, heiratet früh und zieht gemeinsam mit ihrem Mann nach Tanger, in die Fremde, weit weg von ihrem Vormund. Doch in Tanger fühlt sie sich nie wirklich wohl. Sie zieht sich zurück und meidet das gesellschaftliche Leben in der Stadt. Bis eines Tages ihre beste Freundin aus College Tagen vor der Tür steht: Lucy. 

Lucy macht auf den ersten Blick einen selbstsicheren Eindruck. Sie weiß, was sie will und hat auch keine Mühe, diese Dinge bei ihrem Gegenüber einzufordern. Zumindest scheint es so. Lucy erkennt Alice kaum wieder. Sie fasst einen Entschluss, ihrer Freundin das Leben wieder näherzubringen. 

Doch nach und nach findet der Hörer heraus, dass sich die beiden Freundinnen nach ihrer Zeit am College nicht grundlos aus den Augen verloren haben. Welches Ereignis steht zwischen den beiden? Und welche Auswirkungen hat es auf die Gegenwart? 

Die Autorin erzählt hier die Beziehung zwischen zwei Freundinnen. Von ihren vorsichtigen Anfängen bis hin zu den ersten Krisen ihrer Freundschaft. Und dann die immer wiederkehrende Frage, wo der fließende Übergang zwischen Freundschaft, Seelenverwandtschaft oder Liebe ist. 

Schreibstil 
Christine Mangan nimmt uns mit in ein warmes Afrika, das eine Magie auf seine Bewohner ausstrahlt. So verlockend Tanger auch wirken kann, so gefährlich wird es auch für den ein oder anderen Charakter unserer Geschichte. Christine Mangan legt Fährten, nur um diese im Laufe der Geschichte wieder komplett über den Haufen zu werfen. Während ich zu Beginn von Nacht über Tanger noch glaubte, zu wissen, was richtig und was falsch ist, musste ich schon bald erkennen, dass mich die Autorin an der Nase herumgeführt hatte. Allerdings lag das nicht nur an der Verstrickung ihrer Handlungsstränge.

Ihr Schreibstil verwirrte mich auch, weil ich mir gegen Ende nicht sicher war, ob ich mich in der Gegenwart, einer Traumwelt von Alice oder Lucy oder einer Szene, die in unheimliche bildhafte Sprache gepackt war, befand. 

Gesamteindruck 
Meine Bewertung für das Hörbuch fällt sehr positiv aus, weil die Geschichte zum einen sehr gut verstrickt ist und beide Sprecherinnen diese Unklarheit, welche Perspektive nun die Wahrheit enthält, auch gekonnt in ihrer Interpretation umgesetzt haben und mit dazu beigetragen haben, den Hörer an der Nase herumzuführen.

Dennoch gaben mir zwei Aspekte der Geschichte zu denken: So gibt es eine Szene, in der die Freundschaft der beiden zu kippen scheint. Und das was stattdessen folgt, bleibt unkommentiert in der Geschichte stehen.
Zum einen verwirrte mich diese Szene ziemlich, weil sie in der Geschichte überhaupt keine nähere Rolle zu spielen schien, aber ich dennoch erwartet hätte, dass eine der beiden Freundinnen die andere darauf anspricht.
Zum anderen fragte ich mich, ob Freundschaft, oder sogar Seelenverwandtschaft nicht mehr ausreicht, um eine spannende Geschichte zu erzählen. 
Hier und da glaubte ich, dass die Autorin das Stilmittel einbaute, welches mich störte, damit dem Hörer unmissverständlich klar wird, was es mit der Freundschaft der beiden Frauen auf sich habe.  

Der zweite Aspekt, der mich nach Beenden des Hörbuchs erst einmal sprachlos zurückließ, war die Tatsache, welche Ereignisse das Leben manchmal für uns bereit hält. Unser Gegenüber erzählt uns eine Geschichte und wir beginnen diese zu werten und glauben, unser Gegenüber interpretiere vielleicht zu viel hinein oder habe einfach einen schlechten Tag. Doch wissen tun wir es letztendlich nicht. Und in Nacht über Tanger gibt es diesen Moment, in dem einer unserer Heldinnen klar wird, dass sie haushoch verloren hat und das einfach nur, weil sie sich treu geblieben ist. Und genau das sorgt für ihren Untergang. 
Christine Mangan spannt hier ein gefährliches Netz zwischen Wahrheit und Lüge, Abhängigkeit und dem Wunsch nach Freiheit. 

Ich lege diese Geschichte allen ans Herz, die einen Psychothriller suchen, der den Hörer an seiner Wahrnehmung zweifeln lässt. Allerdings ist diese Geschichte nichts für Hörer mit schwachen Nerven.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass mich Nacht über Tanger sehr gut unterhalten aber auch etwas erschreckt hat.