Rezension

Zwischen den Zeilen berührend

Streulicht - Deniz Ohde

Streulicht
von Deniz Ohde

Bewertet mit 4 Sternen

In Streulicht erzählt Deniz Ohde in ruhigem wie eindringlichen Ton die Geschichte eines Mädchens, das in einer deutschen Industriestadt aufwächst. Als Kind eines Deutschen und einer Türkin hat sie mit den Vorurteilen zu kämpfen, die das (Schul-)System Ausländern gegenüber hat, auch wenn man gar kein Ausländer ist. Ohde hat die Gedankenwelt unserer jungen Hauptfigur sehr treffend beschrieben. Auch wenn sie dabei immer dezent und urteilsfrei bleibt.

Unsere Erzählerin muss zum einen mit ihrer präkeren familiären Situation klarkommen: Ihr Vater neigt zur Gewalt und kann dazu noch nichts wegwerfen. Als Begründung dienen vage Erlebnisse aus dem Krieg. Ein Argument, das keinen Wiederspruch duldet. Dazu kommen Vorurteile verursacht durch ihr ausländisches Aussehen. All das gibt ihr das Gefühl minderwertig zu sein. Dinge nicht verdient zu haben, die andere als selbstverständlich nehmen. Gerade der Gegensatz zu den Familien ihrer besten Freunde, die scheinbar problemlos durchs Leben gleiten, ist bitter. Etwas frustrierend - wenn auch leider allzu realistisch - ist, dass unsere Protagonistin einfach nicht rauskommt aus dieser einmal erlernten Einstellung. Auch die Flucht aus der Heimatstadt hilft letzlich nicht.

Gewalt und Alkoholsucht werden nicht explizit genannt, sind aber präsent. Alleingelassen ist das Wort, was unsere Erzählerin am besten beschreibt. Ob von den Eltern, die mit sich beschäftigt sind, vom gleichgültigen Großvater, von Freunden oder den Lehrer, die nicht über ihre einmal erlernten Strukturen hinauskommen: Niemand scheint ihre Probleme wahrzunehmen, ihre Andeutungen und leisen Hilfeschreie zu verstehen. Es ist ja auch viel leichter jemanden als schüchtern oder dumm abzustempeln, als einmal gezielter nachzufragen. Nicht nur einmal fühlt man sich ertappt beim Lesen. Wen hast du übersehen? Wer ist neben dir durchs Raster gefallen?

"Ich betrachte die Tintenschrift, manchmal durch Tränenflüssigkeit verwischt, was ich damals zum Zeichen meiner Überforderung stehen gelassen hatte, in der Hoffnung, jemand würde es verstehen, aber ich hatte nur einen Vermerk wegen nachlässiger Form dafür bekommen." Seite 130

Ich habe Streulicht sehr gerne gelesen. Die Wucht, mit der Ungerechtigkeit, Trauer und Verzweiflung einen beim Lesen treffen ist enorm. Auch oder gerade weil es oft nur zwischen den Zeilen steht. Gegen Ende hat es sich für einen Geschmack dann aber zu sehr gezogen. Auch, weil hier nichts neues mehr passiert. Die Geschichte bleibt sich dabei treu, aber irgendwie war es schade dass sie so ausplätschert.