Buch

Prager Requiem - Michael Hetzner

Prager Requiem

von Michael Hetzner

Leseprobe aus Teil 1, Requiem aeternam:

Professor Wolf kam mit raschem Schritt zur Tür herein. Wie ein Gutsbesitzer, der das Gesinde grüßt, nickte der hochgewachsene Mann den in der Pathologie versammelten Ermittlern flüchtig zu. Er trug einen makellos weißen Kittel mit goldenen Knöpfen, dazu ein goldenes Schild mit seinem Professoren- sowie den beiden Doktortiteln. Mit geübten Griffen zog er das weiße Leintuch von der Leiche und dozierte: "Der Tote wurde eindeutig in der Nacht vom 23. auf den 24. April ermordet, und zwar zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen." Bei diesen Worten hielt er den Zeigefinger der rechten Hand steil nach oben und blickte die Beamten an, als stehe er im Hörsaal der Universität. Baloun sah den Mediziner, einen der besten seines Fachs, mit leichtem Spott an. So sehr Baloun der Kompetenz des Professors seinen Tribut zollte, so wenig respektierte er dessen Überheblichkeit. "Es kann aber sein", warf Baloun ein, "dass der Mörder sein Opfer bereits einen Tag oder zumindest einige Stunden vorher in seine Gewalt gebracht hat. Immerhin weist das Opfer Spuren von schwerer Folter auf." "Das, meine Herren", entgegnete der Professor, "müssen Sie herausfinden. Auf jeden Fall ist das Opfer einen langen und qualvollen Tod gestorben. Doch die exakt sechzig Schrauben, die wir hier sehen", der Professor wies auf die Spax, die sauber aufgereiht neben der Leiche lagen, "führten nicht zum Tod. Das war, wenn ich so sagen darf, eine kleine Beigabe des Mörders, nachdem der Exitus letalis bereits eingetreten war." Nach einem selbstgefälligen Blick in die Runde fuhr er fort. "Das Opfer wurde nach und nach erstickt. Der Körper wurde immer wieder hochgezogen und dann in das Altöl herabgelassen, wodurch ein akuter Sauerstoffmangel eintrat, wie sich an der stark aufgeblähten Ballonlunge erkennen lässt." Der Professor, der sich Balouns Vorbehalten gegenüber seinem Auftreten sehr wohl bewusst war, sah diesen scharf an und lächelte süffisant. "Neben dieser Lungenblähung", fuhr er dann fort, "finden sich klassische Erstickungsblutungen an der Pleura visceralis. Außerdem lassen sich im Magen Reste von Altöl nachweisen. Dazu kommen avitale Magenschleimhautrisse. Des Weiteren ist die rechte Herzhälfte dilatiert." "Heute, scheint mir, höre ich an einem einzigen Tag mehr Fremdwörter als sonst im ganzen Jahr", ließ sich Baloun vernehmen. Der Professor hielt inne, und sein Gesicht wurde rot wie das eines schreienden Säuglings. Dann besann er sich, holte tief Luft und dozierte weiter. "Darüber hinaus gibt es noch andere Erstickungsanzeichen. Doch das können Sie alles in meinem Bericht nachlesen. Für ihren geschätzten Kollegen", der Zeigefinger des Professors wies wie der Schnabel eines Geiers auf Baloun, "wäre vielleicht mein Handbuch der forensischen Pathologie zu empfehlen. Es ist soeben in der dreiundzwanzigsten Auflage erschienen und gilt seit vielen Jahren als Standardwerk. Das meint wenigstens die Fachpresse. Auf jeden Fall wurde es in zwölf Sprachen übersetzt, und wegen einer Lizenzausgabe für China und Burkina Faso stehe ich gerade in Verhandlungen." "Wurde der Arme eigentlich gesotten als er noch lebte, oder als er schon tot war?", fragte Baloun ungerührt. "Diese Ausdrucksweise, geschätzter Herr Baloun, befremdet mich ein wenig. Sie sind zwar kein Mann der Wissenschaft, aber auch als Kriminalist sollten Sie sich einer exakten Sprache befleißigen." Sein scharfer Blick sezierte Baloun, als habe er einen Studenten vor sich, dem er so¬eben ein ‚Durchgefallen‘ erteilte. "Gesotten, … das heißt erhitzt, wurde der Körper, als das Opfer noch lebte. Die Brandblasen sind eindeutig vital entstanden. Der Körper dürfte einer Temperatur von fünfzig bis fünfundsechzig Grad ausgesetzt worden sein, da er sich im Stadium bullosum befand." […]

Rezensionen zu diesem Buch

Keine leichte Kost!

Eines vorweg: Dieser Krimi ist keine leichte Kost! Der Einstieg fiel mir zunächst etwas schwer, nicht nur wegen der ungewohnt slawischen Ausdrücke bzw. Namen im Text, sondern auch wegen der vielen politischen Hintergründe, mit denen der Leser konfrontiert wird. Diese sind jedoch für die Entwicklung der Geschichte wichtig. Der ermittelnde Major Svátek ist kein gewöhnlicher Kommissar, mit dem man gleich Sympathie empfindet. Aber die Protagonisten wie auch die Nebenfiguren sind aus dem Leben...

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Weitere Infos

Art:
eBook
Genre:
Krimis Thriller
Sprache:
deutsch
Umfang:
260 Seiten
ISBN:
9783862820955
Erschienen:
Juli 2012
Verlag:
Acabus Verlag
7.5
Eigene Bewertung: Keine
Durchschnitt: 3.8 (2 Bewertungen)

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