Rezension

Absolut faszinierend!

Südlich vom Ende der Welt - Carmen Possnig

Südlich vom Ende der Welt
von Carmen Possnig

Bewertet mit 5 Sternen

»Allmählich lassen wir die Gipfel dieses Gebirges, das leuchtende Eis der Gletscherflüsse hinter uns. Sie weichen einem Schneefeld, das sich in alle Richtungen auszudehnen scheint. Es ist die größte Wüste und die kälteste Gegend unseres Planeten. Unser neues Zuhause. Bis zu vier Kilometer dick ist die Eisschicht des ostantarktischen Hochplateaus, auf mehr als zehn Millionen Quadratkilometer verteilt.«

Ein Jahr in der Antarktis – ein Gedanke, der mich fasziniert und mir zugleich Schauder über den Rücken jagt. Beide Gefühle wurden beim Lesen noch deutlich verstärkt.

 

Carmen Possnig ist eine junge Ärztin, die im Auftrag der ESA zusammen mit zwölf weiteren Wissenschaftlern ein komplettes Jahr auf der Forschungsstation Concordia in der Antarktis verbracht hat. Ihr fesselnder Bericht führte mir vor Augen, wie wenig ich eigentlich über diesen Ort auf der Erde weiß, den nur die wenigsten Menschen jemals aufsuchen. Das beginnt schon mit der Erkenntnis, dass das Team auf Concordia massiv unter der Höhenkrankheit leidet, da die Station auf 3.800 Metern Höhe liegt.

 

Die Auswirkungen auf den Körper bei einem Daueraufenthalt in großer Höhe sind ein Punkt von Carmens Possnigs Forschung. Die weiteren Faktoren sind natürlich die extreme Kälte, die Isolation und das Eingesperrtsein. Überwintern auf Concordia bedeutet, vier Monate in völliger Finsternis zu verbringen, bei Temperaturen bis zu -80°. Die Crew ist neun Monate lang völlig auf sich gestellt, denn während der Wintermonate von Februar bis ca. Mitte November kann kein Flugzeug dort landen, gibt es keine Möglichkeit, in einem Notfall zu helfen oder zu evakuieren. Der ESA geht es darum herauszufinden, welche Belastungen Astronauten bei einem Flug/Aufenthalt auf dem Mars aushalten müssten und wenn man dieses Buch liest, dann wird völlig klar, dass es keinen besseren Ort für diese Forschung geben kann.

 

Der Stil der Autorin gefiel mir sehr. Es wirkt, als würde sie neben mir auf dem Sofa sitzen und plaudern, unterhaltsam und leicht verständlich. Ihr Gebiet ist die Medizin, daher beschreibt sie ausführlich die von ihr durchgeführten Untersuchungen und Testreihen. Welche Effekte hat der stetige Sauerstoffmangel? Wie wirkt sich die Isolation auf das Immunsystem aus? Wie verändern sich im Laufe des Aufenthalts die motorischen und kognitiven Kompetenzen? Hochinteressiert las ich von den Symptomen des Winterover-Syndroms, das in unterschiedlicher Stärke jeden trifft, der einen Winter auf der Antarktis verbringt. Beeindruckend auch, wie lange (oder womöglich sogar dauerhaft) gesundheitliche Beeinträchtigungen nach der Rückkehr noch anhalten.

 

Die faszinierende Umgebung ist natürlich ein weiterer Schwerpunkt. Schon die Fotoseiten im Mittelteil des Buchs versetzen mich in ehrfürchtiges Staunen, wenn ich mir aber dann noch vorstelle, dass man sich, um diese Eiswüsten, diesen Sternenhimmel, live anschauen zu können, zuvor in zahlreiche Schichten von Spezialkleidung einwickeln muss, die nicht einen Fitzel Haut frei lassen, dann bleibt mir nur große Bewunderung für die Menschen, die sich das wagen.

 

Und es sind nicht nur die extremen Umweltbedingungen, die sie auf sich nehmen. Die kleine, völlig isolierte Crew durchlebt zwischenmenschliche Probleme, die man sich so ohne Weiteres nicht vorstellen kann. Vieles davon wird durch das schon zitierte Winterover-Syndrom ausgelöst, das ist (wenn man es nicht selbst erleben muss) wirklich faszinierend zu lesen. Da wird über Banalitäten gestritten, einige haben häufig Wutausbrüche, andere Depressionen. Allen kritischen sozialen Situationen ist gemein, dass man ihnen durch die besondere Situation nicht ausweichen kann. Aber das Team bemüht sich um Zusammenhalt, erdenkt immer neue gemeinsame Freizeitaktivitäten, von Kochabenden bis zur Partynacht. Sehr beeindruckend, davon kann man was lernen! Sehr angenehm fand ich auch, dass wann immer die Autorin über Probleme mit Kollegen schreibt, sie diese nicht namentlich benennt. Ein Zeichen für die freundschaftliche Verbundenheit und das Verständnis füreinander.

 

Neben all dem lese ich über das ganze vorbereitende Bewerbungs- und Auswahlverfahren, über das Kennenlernen der Crew und das medizinische Notfalltraining am Mont Blanc. Über Training im Sojus-Simulator, über Weltraummedizin und die Arbeit von Glaziologen. Immer wieder blicke ich auf die Übersichtskarten und blättere durch die Fotoseiten. Es gibt einige Rückblicke auf berühmte Expeditionen, die Station wird ausführlich beschrieben und selbstverständlich fehlen auch die Hinweise auf den Klimawandel und die dramatischen Folgen der Erderwärmung nicht.

 

Fazit: Absolut faszinierend! Ein großartiges und hochinteressantes Buch, unterhaltsam geschrieben und mit zahlreichen beeindruckenden Fotos.