Rezension

Alle Schuld rächt sich auf Erden. - Johann Wolfgang von Goethe

Die verschwiegenen Jahre -

Die verschwiegenen Jahre
von Cathy Gohlke

Bewertet mit 5 Sternen

1972. Die 27-jährige amerikanische Lehrerin Hannah Sterling wird aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten vom Unterricht freigestellt. Diese sind eine Folge des sehr unterkühlten Verhältnisses zwischen Hannah und ihrer Mutter, die vor kurzem verstorben ist. Hannah hatte nie eine vertraute Beziehung zu ihrer Mutter Lieselotte, weil diese es nie zuließ. Darunter hat Hannah zeitlebens gelitten. Als sie in den Hinterlassenschaften von Lieselotte alte Briefe findet, erlebt sie eine große Überraschung, die sie zu weiteren Nachforschungen nach Deutschland reisen lassen. Wird Hannah dort die Antworten auf ihre Fragen finden, die sie nachträglich endlich mit ihrer Mutter versöhnen und sie ihr etwas näher bringen?

Cathy Gohlke hat mit „Die verschwiegenen Jahre“ einen sehr berührenden historischen Roman vorgelegt, dessen Handlung den Leser nicht nur mit zwei Zeitebenen unterhält, sondern auch zurück in die schlimme Zeit des 2. Weltkriegs zurückführt. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser mit wenigen Worten an Hannahs Seite gleiten, um ihre Gedanken- und Gefühlswelt kennenzulernen und sie bei ihren Unternehmungen im Jahr 1972 zu begleiten. Das Leben mit einer lieblosen Mutter hat Hannah psychisch gezeichnet, sie konnte nie begreifen, warum Lieselotte ihr gegenüber immer distanziert und kühl war. Die Briefe in Lieselottes Nachlass veranlassen Hannah, den neugewonnenen Informationen nachzugehen und nach Deutschland zu reisen, wo sie angeblich einen Großvater hat, von dessen Existenz sie bisher nichts wusste und der Hannah nach ihrer Ankunft abweisend begegnet. Irgendwas stimmt nicht mit dieser Familie, das wird Hannah schnell klar, doch ihre Neugier treibt sie weiter in die Vergangenheit ihrer Mutter in den Jahren 1938 bis 1945, die über den zweiten Erzählstrang preisgegeben wird. Dabei wird sie von der Zufallsbekanntschaft Karl unterstützt. Gemeinsam finden sie heraus, dass Lieselotte in einem nazigetreuen Haushalt aufwuchs und heimlich verliebt in Jugendfreund Lukas Kirchmann, dessen Familie heimlich verfolgte Juden versteckt und Mitglieder der Bekennenden Kirche sind. Schon bald unterstützt Lieselotte die Kirchmanns, heiratet sogar heimlich ihre große Liebe Lukas. Gohlke treibt die Spannung ihrer Handlung mit den wechselnden Zeitebenen immer weiter in die Höhe und zeigt dem Leser neben dem Gewissenskonflikt von Lieselotte auch die Veränderung von Hannah wunderbar auf. Gleichzeitig spiegelt sie die damaligen Zustände unter den Nazis wider und lässt diese Zeit so lebendig werden, dass der Leser bei der Lektüre ein Wechselbad der Gefühle durchläuft. Der christliche Aspekt ist sehr schön in die Handlung eingebettet und thematisiert Schuld, Vergebung, Verzeihen sowie Hoffnung.

Die Charaktere sind sehr liebevoll ausgestaltet und mit glaubwürdigen menschlichen Eigenheiten in Szene gesetzt. Der Leser heftet sich sofort an ihre Fersen, schaut ihnen über die Schulter und hofft, bangt und leidet mit ihnen. Hannah ist durch das zeitlebens fehlende vertraute Band zu ihrer Mutter gezeichnet. Sie fühlt sich ungeliebt, ihre Unsicherheit spiegelt sich in ihrem Verhalten anderen gegenüber wider. Doch gleichzeitig ist Hannah mutig, sich den Widerständen zu stellen und nach Antworten zu suchen. Lieselottes Verhalten Hannah gegenüber macht sie nicht gerade sympathisch, doch ihre Vergangenheit gibt die Erklärung dafür. Als junge Frau hat sie das Herz am rechten Fleck und Verantwortung für ihre Entscheidungen übernommen. Hannahs Großvater ist ein widerlicher menschenverachtender alter Mann, der bis zum Tod nichts gelernt hat.

„Die verschwiegenen Jahre“ ist ein emotional sehr berührender historischer Roman, der nicht nur in die schlimmste deutsche Vergangenheit entführt, sondern dem Leser tiefgründig das Schicksal der Protagonisten näher bringt. Absolute Leseempfehlung!!!