Rezension

Alter Wein und alte Schuld

Yquem
von Michael Amon

Bewertet mit 4 Sternen

Den Anfang fand ich etwas langweilig, aber dann zog mich der Autor mit Sprache und Gedanken in seinen Bann: zum Zeitunglesen (wie in einer Endlosschleife, täglich die immer gleichen Gräuelmeldungen, die gleichen Dummheiten), zum Wesen des Lebens, zum Alleinsein und zur Einsamkeit.

Der Ich-Erzähler, ein wohlhabender, etwa 40-jähriger Gebildeter, früher ziemlich 'links', sehr belesen, lebt ganz alleine in einem Haus am Berg, in einem österreichischen Provinznest von spießiger Behaglichkeit, wo Lüge, Heimtücke und Verschlagenheit'zu Hause sind. Er übt bissige Kritik an den Dorfbewohnern und hat sich ganz seinem Weinkeller verschrieben. Er ist ein Kenner, ein Genießer, der auch Wert darauf legt, das passende Essen zum Wein auszusuchen, seltener umgekehrt.

"Ich wollte das Leben als gleichmäßigen Fluss erleben, ein stetes Fließen, keine Stromschnellen, keine Hindernisse, keine Wasserfälle."

In sein einsames, aber durchaus nicht freudloses Leben bricht ein ihm aufgezwungener Gast ein, Ruth, eine junge Jüdin, die Nachforschungen anstellen will. Ihre Suche nach den Grundstücken ihrer Großeltern und dem Verbleib von Geld auf einem 'schlafenden' Konto in der Schweiz vermischt sich mit der Suche des Ich-Erzählers nach einem ganz besonderen, sehr alten Wein, einem Château d'Yquem. In beiden Fällen kommt der unsympathische Anwalt Jürgensen ins Spiel. Über dessen Vergangenheit finden der Ich-Erzähler und Ruth, die sich im Verlauf der Geschichte immer näher kommen, mehr heraus als ihnen lieb ist.

Am Ende wird die Schuld von Jürgensen offensichtlich; der Ich-Erzähler will Rache nehmen und lädt dabei selber Schuld auf sich, wenn auch nicht im juristischen Sinne. Die weitere Entwicklung bleibt offen ...

Dieser Roman besticht weniger durch seine eher unspektakuläre Handlung als mehr durch die tiefschürfenden Gedanken und die teils poetische, teils bissige Sprache: sarkastisch, wenn es um die Beschreibung der spießigen Dorfbewohner geht, federwolkenleicht, wenn er in die Natur blickt, hin und wieder humorvoll (Rabiatperle - der schlechte Wein im Wirtshaus).