Rezension

Am Ende des Lebens

Was am Ende wichtig ist - Petra Anwar, John von Düffel

Was am Ende wichtig ist
von Petra Anwar John von Düffel

Bewertet mit 4 Sternen

Die Patienten, die Petra Anwar besucht, haben keine Aussicht auf Heilung. Und doch ist diese letzte gemeinsame Zeit für Sterbende und ihre Angehörigen eine besonders kostbare: Für Maike, die trotz des riesigen Tumors in ihrem Bauch noch ein ganzes Jahr mit ihren heranwachsenden Töchtern gewinnt. Für Herrn Helling, der im Rollstuhl ans Meer reist, um ein letztes Mal die Leuchttürme zu sehen. Für Herrn Bozkurt, der in seine kleine Stadt in der Türkei zurückkehrt, weil eine Wohnung in der Fremde kein guter Ort zum Sterben ist … Zusammen mit dem Schriftsteller John von Düffel erzählt Petra Anwar zwölf wahre Geschichten vom Sterben. (Verlagsseite) 

Zwölf Leben, zwölf Krankheiten, zwölf Tode. Zwölf völlig verschiedene Schicksale, obwohl die Krankheit, Krebs, in den meisten Fällen die gleiche ist. Zwölf Mal keine Einzelgeschichte vom Sterben, sondern eine Abschiedsgeschichte auch für Ehepartner, Kinder, Verwandte und Freunde.
Petra Anwar liebt ihren Beruf, und sie möchte in keinem anderen medizinischen Fachgebiet arbeiten, obwohl die tägliche Arbeit mit Sterbenden sie zeitweise an den Rand ihrer psychischen Belastbarkeit bringt. Denn anders als ihre Kollegen heilt sie nicht; sie lindert nur, und der Ausgang der Krankheit ist gewiss. 

Die Autorin stellt Männer und Frauen verschiedenen Alters aus unterschiedlichen Berufen, Lebensformen und Schichten vor und damit auch deren Umfeld.
Ob der Patient seine Krankheit akzeptiert, ob er dagegen ankämpft – einen stillen verbissenen oder einen lauten wütenden Kampf - oder ob er den Kopf in den Sand steckt, weiß die Ärztin zunächst nicht, und daher ist sie vor dem ersten Hausbesuch oft aufgeregt.
Es zeigt sich bei fast allen Fällen: Der Kranke weiß oder ahnt, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt; wenn die Ärztin von den Angehörigen um ihr Schweigen gebeten wird, das sie wider besseres Gefühl verspricht, erweist sich meist, dass nicht der Patient geschützt werden soll, sondern die Angehörigen selbst, denn – worüber man nicht redet, das ist nicht wahr und nicht wirklich. Das Schweigen aber schützt niemanden, es belastet.
Wenn die Familie es schafft, sich dem Sterben und dem Tod offen zu stellen und ihn zu begleiten, ist damit oft schon der erste Schritt der Trauerbewältigung gemacht. 

Doch Anwar berichtet auch von Fällen, in denen ihre Hilfe vergebens oder unerwünscht war, in denen sie manipuliert oder missbraucht wurde. Man kann kaum glauben, dass Menschen mit ihrer Krankheit und ihrem nahen Tod hausieren gehen, Publikum brauchen; ebenso wenig glaubt man, dass Sterbende von Familienmitgliedern seelisch gequält oder körperlich misshandelt werden.
Dass Anwar als letzten Fall das Sterben und den Tod ihres Vaters schildert, zeigt das Problem auf, gleichzeitig professionell und als emotional Beteiligte zu handeln. 

Im Anhang gibt die Autorin unter dem Titel „Was helfen kann“ Informationen zu Pflege, Hospizarbeit und juristischem Hintergrund mit Adressen, wo man Hilfen bekommt. 

Fazit:
Weit entfernt von Voyeurismus erzählt Anwar nicht nur von ihren Patienten, sondern auch von sich und ihren oft widersprüchlichen Gefühlen und davon, wie sie den Spagat schafft, gleichzeitig dem Sterbenden nah zu sein und berufliche Distanz zu wahren.