Rezension

Ambivalent

Treue -

Treue
von Hernan Diaz

Bewertet mit 3.5 Sternen

Benjamin Rask ist in den 20er Jahren in aller Munde. Der New Yorker stammt aus reichem Hause, aber die finanziellen Höhen in die er das Familienvermögen mit geschickten Börsenspekulationen treibt, übertreffen alles je dagewesene. Da er und seine früh verstorbene Gattin Helen eher zurückgezogen lebten, entspinnen sich bald die wildesten Gerüchte um das Paar – und das passt Rask gar nicht!

In „Treue“ werfen wir nun aus verschiedenen Perspektiven einen Blick auf Rask und seine Frau. Er wird dabei mal als einsames introvertiertes Finanzgenie, mal als Mann von Welt und Strippenzieher, mal als besorgt liebender Ehemann dargestellt. Helen schwankt zwischen einer sanften, kunstbegeisterten naiven Dame und einem psychisch labilen Geist aus zerrütteten Familienverhältnissen. Die Wahrheit liegt in beiden Fällen wohl irgendwo in der Mitte, aber das muss man sich als Leser mehr oder minder selbst zusammenreimen. - Das soll übrigens keine Kritik sein, besonders die ambivalenten Schilderungen der Figuren mochte ich sehr!

Der Aufbau macht diesen Roman zu einem besonderen Leseerlebnis. Fragt mach sich bei den beiden ersten Teilen noch, wo die zwei Erzählungen mit eigentlich unterschiedlichem aber doch stellenweise seltsam ähnlichem Inhalt wohl hinführen werden, bieten Teil drei und vier einige Aha-Erlebnisse. Der Mix aus Spekulation, Selbstdarstellung, Sensationslust und Wahrheit ist wirklich gut gelungen. Leider konnte Diaz das Thema Finanzen und Börse nicht rüberbringen, ohne mich zwischenzeitlich zu langweilen.

Das Hörbuch ist wirklich klasse gelesen und hat dem Roman für mich noch aufgewertet. Besonders im letzten Kapitel hätte ich Valery Tscheplanowa ewig weiter zuhören können. Insgesamt fand ich „Treue“ einen spannenden Roman, der leider erst in der zweiten Hälfte sein ganzes Potential entfaltet und sich manchmal ein wenig zu sehr im finanziellen verliert.