Rezension

Anspruchsvoll!

Wolf Hall - Hilary Mantel

Wolf Hall
von Hilary Mantel

Bewertet mit 4 Sternen

Wolf Hall (dt. Wölfe) erzählt die Geschichte Thomas Cromwells. Geboren als Sohn eines brutalen Hufschmieds stieg er zum vielleicht mächtigsten Mann Englands und engsten Berater Heinrichs VIII auf.

Ich glaube, ich habe noch nie einen so lehrreichen historischen Roman gelesen. In allen Einzelheiten wird erklärt, wie Cromwell seinen König unterstützt, Anne Boleyn zu ehelichen – obwohl er seit 20 Jahren verheiratet ist. Cromwell besticht, droht und organisiert. Meistens überredet er. Dabei wird er sehr menschlich dargestellt. Verantwortungsvoll und liebevoll kümmert er sich um seine Familie und Freunde. Mir wurde er schnell sympathisch.

Der Stil, in dem Mantel Cromwell beschreibt ist jedoch sehr subtil. Selten wird geschrieben: „Er war traurig.“ Dennoch bekommt man rasch ein Gefühl für den berühmten Protagonisten und kann sich vorstellen, was er empfindet. Andeutungen werden fallen gelassen und später wieder aufgenommen. Cromwells Interesse in Wissenschaft und Theologie, seine Verbindungen in Europa spielen immer wieder eine Rolle. So entsteht ein großes, buntes Bild des 16. Jahrhunderts und des Lebens Cromwells. Es gibt humorvolle, traurige und fröhliche Sprachbilder. Wenig wird beschönigt, aber es ist auch kein Roman, der in Grausamkeiten verharrt.

Warum also nicht die volle Punktzahl für diesen facettenreichen Roman?

Ich muss zugeben, dass er mir ein wenig zu anspruchsvoll war für reine Freizeitlektüre. Ich brauchte eine Zeit, um mich an den Stil zu gewöhnen: Cromwell ist immer „he“. Zu Beginn war ich verunsichert, wer spricht, was nur gedacht wird und was Rückblenden sind. Erst nach der Hälfte des Romans konnte ich wirklich flüssig lesen. Noch schwieriger sind die Figuren. Mal werden sie mit Namen beschrieben, mal mit Titel, mal mit anderem Namen. Zwar hilft das Personenverzeichnis am Anfang, trotzdem verwirren die ganzen Marys, Annes und Thomas'. Man braucht Zeit, sich mit dem Roman zu beschäftigen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich in englischer Sprache gelesen habe. Dennoch: Die letzten hundertfünfzig Seiten habe ich dann förmlich verschlungen. Wenn man mal drin ist, ist Wolf Hall doch mitreißend.

Fazit: Ein wunderbarer Roman, der jedoch keinesfalls „leichte Lektüre“ ist. Spannend, historisch und anspruchsvoll entwirft Mantel ein breites Bild der Zeit von Reformation, Renaissance und Verschriftlichung.

Fortsetzung: Bring up the Bodies (dt. Falken)