Rezension

Anstrengend und herausfordernd...

Hunger -

Hunger
von Knut Hamsun

Bewertet mit 2.5 Sternen

Das Wort "Klassiker" sagt nichts darüber aus, dass einem jedes Werk gefallen muss, das unter diesen Begriff fällt. Einfach nur anstrengend!

1890 erschien die Erstfassung des ersten Romans des norwegischen Autors (1859-1952), der 1920 den Literaturnobelpreis erhielt und noch später politisch sehr umstritten war wegen seiner offen zur Schau getragenen Sympathie mit der deutschen Besatzungsmacht während des Zweiten Weltkriegs. "Hunger" entstand vor dem Hintergrund eigener Erlebnisse des Autors, der 1886 in Kristiania (früherer Name von Oslo) arbeitslos eine schwere Hungerzeit durchzustehen hatte. Mit diesem Roman gelang Knut Hamsun der literarische Durchbruch. Die Neuauflage des "Klassikers" entspricht lt. Verlag besagter Erstfassung, die später immer wieder Veränderungen unterlag.

 

"Es war zu der Zeit, als ich hungrig in Kristiania umherging, dieser sonderbaren Stadt, die niemand verlässt, bevor er von ihr gezeichnet worden ist." (S. 5)

 

Erzählt wird hier aus der eindringlichen Ich-Perspektive eines namenlosen Schreibers, der versucht sich durch das Einreichen kleiner Zeitungsartikel in Kristinia über Wasser zu halten. Er haust in einer schäbigen Kammer, wird von seinen Schulden aufgefressen und verliert schließlich sein Obdach. Tagelang streift er durch die Straßen ohne etwas zu essen zu haben und kommt dem Wahnsinn (zu) nahe. Das ist im Wesentlichen auch schon die Handlung. Im Fokus steht die innere Verfassung des Hungernden, seine wild springenden Gedanken und Empfindungen, zahllose demütigende Begegnungen und Ereignisse, die zunehmend untrennbare Verwebung von Realität und Halluzinationen. Von optimistisch zu hoffnungslos, fröhlich oder dankbar zu beschämt oder verächtlich - stetig wandelt sich das Erleben im Sekundentakt. Von himmelhochjauchzend zu zu Tode betrübt innerhalb von einer Sekunde - und gleich wieder zurück, bis man beim Lesen das Gefühl erhält, gleich mit verrückt zu werden.

Dies sorgt für besagte Eindringlichkeit und Intensität, und nicht umsonst gilt der Roman als Meilenstein in der Entwicklung der Erzähltechnik des sog. "Bewusstseinsstroms" (Wiedergabe einer scheinbar ungeordneten Folge der Bewusstseinsinhalte eines Charakters). Autoren wie Kafka, James Joyce oder auch Virginia Woolfe ließen sich davon inspirieren. Insofern hat der Roman zurecht seinen "Klassiker"-Status. Doch muss einem jedes Buch gefallen, das unter diesen Begriff fällt? Wohl kaum. Ich jedenfalls fand den Roman nicht nur anstrengend zu lesen, ich war auch zunehmend genervt von der Lektüre. Das Verhaltensmuster des zudem sehr unsympathisch gezeichneten Ich-Erzählers wiederholt sich immerzu, eine Entwicklung findet nicht statt. Der ständige konsequente Wechsel der Zeitebene zwischen Präsens und Perfekt, teilweise auch innerhalb desselben Satzes, erhöhte den Lesefluss auch nicht gerade.

"Ein ergreifendes und hinreißend lustiges Buch über den Hunger ... ein größeres Leseerlebnis habe ich wohl nie gehabt." Das hat wohl Astrid Lindgren nach der Lektüre des Romans verkündet. Leider erschloss sich mir der Humor in keinster Weise, ich habe ihn überhaupt gleich an keiner Stelle entdecken können. Schade eigentlich. Spannend fand ich dann allerdings die Verbindung zu Astrid Lindgren und ihrer Pippi Langstrumpf, die womöglich nur deshalb so viele Lügengeschichten auftischt, weil die Autorin damals so begeistert von Hamsuns skurrilem Werk war, dessen "Held" selbst ständig Lügengeschichten erzählt. Na, dann - hatte der Roman doch eine positive Auswirkung. Dieses Detail ist übrigens im umfassenden Nachwort von Felicitas Hoppe zu erfahren, das ich insgesamt leider als sehr gewollt intellektuell-geschraubt empfand, stellenweise ebenso unverständlich (wenn auch auf eine andere Weise) wie den Roman davor.

Ein Roman, dem ich den "Klassiker"-Status zubillige, zu dem ich persönlich jedoch badauerlicherweise keinen Zugang fand.

 

© Parden