Rezension

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Atemlos quer durch Europa

Operation Blackmail - Jenk Saborowski

Operation Blackmail
von Jenk Saborowski

Bewertet mit 5 Sternen

"Da war sie. Sein Ziel. Ohne Zweifel."
Ein kurzer innerer Monolog des Scharfschützen, ehe seine Kugel in Paris das Leben der Mitarbeiterin einer europäischen Großbank jäh beendet. Ebenso stirbt ein Investmentbanker in Bologna, die Forderung über 500 Millionen Euro geht in der Zentrale des Instituts ein. Jeder der Tausenden Mitarbeiter könnte das nächste Ziel sein, sollte die Zahlung nicht erfolgen. Die Eigenschaft als multinationaler Konzern scheint zum größten Hindernis zu werden, da die europäischen Behörden bei der grenzüberschreitenden Verbrechensbekämpfung nach wie vor sehr schwerfällig agieren. Die Situation scheint aussichtslos, gäbe es da nicht die streng geheime Behörde ECSB, deren Topagentin Solveigh Lang sich auf die Fersen der Attentäter heftet. In einer atemlosen Hetzjagd sowohl über den ganzen Kontinent als auch durch die digitalen Weiten des Internet scheinen die Erpresser stets einen Schritt voraus zu sein, bis es schließlich zum Showdown [] kommt.

Bereits der erste Eindruck des Buches stimmt auf die Geschichte ein. Ein haptisch ansprechendes Cover, der Titel wie eilig aus Reißwolfschnipsel zusammengesetzt, ein anklagendes Zitat von Helmut Kohl aus 1997, in dem er bereits auf die bürokratische Problematik des Staatenbundes hinweist. Und wenige Augenblicke später wird der Leser bereits Zeuge des ersten Mordes ...

Das Buch ist in kurze Kapitel eingeteilt, die jeweils mit Orts- und Zeitangabe der aktuellen Handlung übertitelt sind. Dies erlaubt es dem Leser, die Sprünge von Ort zu Ort als auch in der Erzählperspektive von Person zu Person leichter nachzuvollziehen. Innerhalb der Kapitel entspricht die Erzählzeit der erzählten Zeit, was die Analogie zu Szenen eines rasant geschnittenen Filmes nahelegt. Die Zeit schreitet im Wechsel dieser szenischen Elemente voran, das Augenmerk ist jeweils auf den Moment gerichtet. Die Sprache ist pragmatisch, wohl strukturierte von Verben geprägte Hauptsätze dominieren, erklärende Relativsätze sind leicht faßbar. Auch mit der Form wird somit das Tempo der Erzählung konsequent transportiert.

Stereotypen sind etwas Schönes. Vorgefertigte Meinungen, die uns die Orientierung in einer komplexen Welt erleichtern, die uns helfen, Menschen, Situationen vorab einzuschätzen. Sibirien ist ein kalt-unwirtliches Land, in dem man nur mit der richtigen Menge Wodka überleben kann. Die europäische Staatengemeinschaft ist ein schwerfällig-bürokratischer Apparat. Dies etwa sind solche Klischees, die es einem geschickten Erzähler wie Jenk Saborowski erleichtern, das Tempo konstant beizubehalten. Indem er vorhandene Bilder im Bewußtsein des Lesers abruft, verliert er keine Zeit, leiht er sich die Kulissen aus, skizziert sie bestenfalls und konzentriert sich auf die Handlung. In der Tat lassen sich einige Gemeinplätze ausmachen, auf denen der Autor gekonnt navigiert. Die Heldin wird in einem kurzen Einsatz am Londoner Flughafen Heathrow eingeführt, ein aus dem Kino bekanntes Handlungsschema. Außerdem findet sich der Actionfilm-affine Leser auf vertrautem Boden, wenn sie unterstützt wird von einem dicken, bebrillten Nerd, der jedes Computersystem zu knacken in der Lage ist, wenn eine supernationale, offiziell nicht existierende Behörde ihren Einfluß auf Regierungsebene geltend macht. Ein ehemaliger Elitekämpfer aus der roten Armee als Attentäter, ein Hauch von Insubordination im Namen der Gerechtigkeit erlauben Assoziationen zu Filmen und Serien wie James Bond, Bourne Identity oder 24. Gerät hier Saborowski in Gefahr, sich Plagiatsvorwürfen auszusetzen? Ganz im Gegenteil, indem er wohlbekannte Elemente kunstvoll zu einem neuen Ganzen arrangiert, bietet er seinem Publikum genau das, wonach es verlangt: keine tiefgreifenden Charakterstudien, keine literarischen Analogien zu Landschaftsgemälden, keine stilistischen Experimente, sondern allerbeste, spannende Unterhaltung, einen Actionfilm für den Kopf, ein Stakkato aus Verfolgungsjagd und Ermittlungsarbeit.

Leider läßt das hohe Tempo die Erzählung aber auch über die eigenen Beine stolpern, ein narrativer Kunstgriff büßt an Wirkung ein: Durch eine falsche Fährte wird lediglich das Ermittlerteam in die Irre geführt, nicht jedoch der Leser. Diesem bleibt einfach zu wenig Zeit, um ausreichend tief in die Situation einzutauchen, sich mit den zu treffenden Entscheidungen auseinanderzusetzen. Er verbleibt in der Rolle des distanzierten Beobachters, muß den (vorläufigen) Triumph des Erpressers emotionslos aus der Entfernung mitverfolgen.

"Operation Blackmail" ist ein Buch, das genau jetzt spielt funktioniert. Weder vor 10 Jahren, noch in 10 Jahren. Dies gewährleistet ein zeitliches Koordinatensystem, dessen Referenzpunkte tatsächlich existierende Personen wie etwa Gordon Brown oder die - namentlich nicht genannte - deutsche Bundeskanzlerin darstellen. Außerdem wird stets auf Computertechnik verwiesen, die aufgrund ihres kurzen Produktlebenszyklus' den Roman in der nächsten Dekade so nostalgisch-naiv erscheinen lassen wird wie ein Jules Verne aus der heutigen Sicht. Diese präzise zeitliche Verortung bewirkt aber auch eine erschreckende Unmittelbarkeit der Geschehnisse: Der Sitznachbar in der U-Bahn könnte Solveigh Lang in geheimer Mission sein, eine derart geschickt geplante Erpressung könnte jeden Konzern treffen, jeder wird zum potentiellen Opfer. Und schließlich die nagende Frage: Sind unsere sensiblen Daten tatsächlich für findige Verbrecher wie Mao Gruber ohne großen Aufwand ermittelbar?

Durch den Einsatz hochmoderner Computertechnologie als wichtiges Werkzeug der Ermittler wird auch die Problematik der Überwachung ins Bewußtsein des Lesers gerückt. Die aus amerikanischen Serien bekannte Philosophie, nach welcher der Zweck die Mittel heiligt, ist stets das Universalargument, mit dem die Beschneidung von Rechten begründet wird. Der Bürger ist ein offenes Buch für Attentäter, also hat er das auch für seine Beschützer zu sein. Je öfter dieser Gedanke öffentlich artikuliert wird, desto eher ist man bereit, seine Auswirkungen zu akzeptieren. "Operation Blackmail" stellt sich ihm - leider nur allzu bereitwillig - als Vehikel zur Verfügung.

Ein weiterer Kritikpunkt schließlich ist die Elaboration der Protagonistin, bei der leider Potential verschenkt wurde. Eingeführt als eine mit allen Wassern gewaschene Topagentin, die auch gekonnt die Waffen ihrer Weiblichkeit einzusetzen versteht, verfügt sie neben einer Achillesferse auch über eine spezielle Fähigkeit: Ihr Geruchssinn ist übermenschlich gut entwickelt. Während ihr Kryptonit-Analogon sie einen folgenschweren Fehler verursachen läßt, hätte man sich als Leser die starke olfaktorische Wahrnehmung wie in einer klassischen Superheldengeschichte doch als Schlüsselelement bei der Lösung des Falles gewünscht ...

Eine charmante, professionelle Geheimagentin, die in jeder Situation richtig zu reagieren weiß und dank der Hilfe aus der Zentrale stets mit aktuellen Lagedaten versorgt wird. Kurze Briefings und rasante Wechsel zu den Einsatzorten, wo es zu atemlosen Jagden kommt ... müßte man "Operation Blackmail" mit einer Fernsehserie vergleichen, so fiele die Wahl auf "Alias: Die Agentin", mit der J.J.Abrams seinen Ruhm als Regisseur begündet hat. In der Tat ist Saborowskis Roman ein Actionfilm für den Kopf, im Stück oder portionsweise zu konsumieren - die mentale Pausetaste wird wohl nur selten zum Einsatz kommen.