Rezension

Auf der Suche nach der Schwester

Die zweite Schwester - Claire Kendal

Die zweite Schwester
von Claire Kendal

Bewertet mit 3 Sternen

Der Jahrestag von Mirandas Verschwinden jährt sich nun zum zehnten Mal. Für ihre Familie ist die Ungewissheit am schlimmsten. Mirandas Schwester Ella hat beschlossen, sich nicht mehr den Rest ihres Lebens die quälende Frage stellen, was Miranda passiert ist, ob sie noch lebt, ob sie leiden musste. Sie möchte abschließen, auch wenn die Wahrheit vielleicht grausig sein wird. Doch wo beginnen? Schließlich hat die Polizei damals alle Hinweise ausgewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass es keine heiße Spur gibt.

Ella zieht zusammen mit ihren Eltern Luke, den Sohn ihrer Schwester groß. Er war noch ein Säugling, als seine Mutter verschwand. Wer sein Vater ist, weiß niemand. Luke ringt seiner Tante das Versprechen ab, die Wahrheit für ihn herauszufinden. Kurz darauf findet sie tatsächlich einen ersten Hinweis, als die Polizei Mirandas alte Sachen zurückbringt: ein Adressbuch. Die Spur scheint vielversprechend.

Obwohl Ted, ihr Kindheitsfreund und inzwischen Polizist, versucht, ihr die Ermittlungen auszureden, lässt Ella sich nicht davon abbringen. Sie weiß: wenn sie wirklich einen Schlussstrich ziehen will, kommt sie um einen Besuch bei Jason Thorne nicht herum. Er sitzt wegen Mordes lebenslang in einer psychatrischen Anstalt, und obwohl man ihm nichts nachweisen konnte, ist Ella überzeugt dass er auch ihre Schwester auf dem Gewissen hat.

„Es gibt keinerlei sichtbare Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Aber es liegt etwas Seltsames in der Luft, eine Art Witterung, wenngleich so schwach, dass sie auch Einbildung sein könnte.“ Pos. 127

Inzwischen häufen sich die merkwürdigen Zufälle und langsam kommt Ella zu dem Schluss, dass der Mörder noch auf freiem Fuß ist. Sie beschließt, sich nicht weiter auf die Polizei zu verlassen und selber herauszufinden, was ihrer Schwester vor zehn Jahren passiert ist. Da die Polizei eine Beteiligung von Jason Thorne an Mirandas Verschwinden weder dementiert noch bestätigt hat, besucht Ella ihn in der psychatrischen Einrichtung. Er scheint mehr über Ellas Schwester zu wissen, als er bisher preisgegeben hat. Und von da an kommt ein Stein ins Rollen, den niemand aufhalten kann.

Ella kämpft mit den Geistern ihrer Schwester. Weil ihr Tod nie bestätigt wurde, kann sie nicht loslassen. Sie führt Zwiegespräche mit Miranda, überlegt sich was ihre Schwester an ihrer Stelle getan hätte und versucht, einer nicht anwesenden Person zu gefallen. Ich habe im Laufe der Geschichte Mitgefühl für Ella entwickelt, andere finden ihr Verhalten sicher nervig. Doch sie balanciert auf einem schmalen Grat. Ich kann ihre Beweggründe verstehen und auch ihre Handlungen. Miranda erschien mir immer unsympathischer. Ich empfand sie als manipulativ und intrigant. Die beiden Schwestern verbindet ein enges Band, das nach dem Verschwinden von Miranda durch den kleinen Luke noch stärker geworden ist. Ella macht eine Heilige aus Miranda und übernimmt unbewusst die Denkstrukturen ihrer Mutter. Keiner darf die ältere Schwester kritisieren, an ihr zweifeln.

„Ich habe die letzten zehn Jahre mit einem riesigen Loch in meinem Herzen verbringen müssen, und dieses Loch hat exakt die Form meiner Schwester.“ Pos. 4264

Der Schwerpunkt liegt hier ganz klar auf Ella und ihrem Verhalten. Die Handlungen mancher Nebencharaktere haben mich ab und an die Stirn runzeln lassen. Ted zum Beispiel fand ich ab und an in hohem Maße unlogisch, obwohl er eigentlich ansonsten smart ist. Das Tempo war im Großen und Ganzen genau richtig, zwischendurch gab es leider einige Längen. Das ist auch dadurch bedingt, dass die Gespräche zwischen Ella und Miranda nicht klar abgegrenzt sind und so das Lesen etwas erschwert wird.

Ein Spannungsroman, den ich uneingeschränkt empfehlen kann, wenn man ruhige Thriller mag. Hier steht die Detektivarbeit von Ella im Vordergrund, das Zusammensetzen der Puzzleteilchen. Spannende Atmosphäre und viele Wendungen runden das Ganze ab.