Rezension

Auf in den Kampf... oder auch nicht.

Meine Königin - Jean-Baptiste Andrea

Meine Königin
von Jean-Baptiste Andrea

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es ist 1965. Sommer. Der 12-jährige Shell lebt mit seiner Familie in einem recht abgelegenen Ort in der Provence. Das nächste Dorf liegt etwa 10km entfernt. Sie betreiben eine Tankstelle, die aufgrund der Distanz zum Dorf nicht so häufig von den Einheimischen angefahren wird, aber zum Leben reicht es scheinbar. Shell ist ein Sonderling. Er hat keine Freunde, geht nicht mehr zu Schule, zündet gern Insekten an und erfreut sich daran die Zapfsäulen zu polieren und Autos vollzutanken. Doch er will endlich ein Mann sein. Er probiert eine Zigarette und steckt damit beinahe die Tankstelle in Brand. Und als ihn dann noch seine Eltern zurück auf eine Sonderschule schicken wollen, reißt er sich zusammen und geht über Nacht. Er fühlt sich erwachsen. Shell will in den Krieg ziehen. In einen, wie er ihn aus dem Fernsehen kennt, und es allen beweisen, dass er ein echter, furchtloser Kerl ist. Sein Weg führt ihn über ein nahegelegenes Plateau, wo er auf ein Mädchen namens Viviane trifft. Sie verstehen sich auf Anhieb, reden, spielen. Shell lebt nun auf dem Hochplateau.

Gar täglich bekommt er nun Besuch von seiner Königin. Zumindest erzählt sie ihm, dass sie eine sei und auf einem Schloss in der Nähe wohnt. Mit ihr scheint er die große Schlacht der Männlichkeit vergessen zu haben und bleibt. Als Untertan. Als Held. Nur zurück kann er eben nicht. Als dann alle nach ihm suchen, hilft sie ihm sich versteckt zu halten und versorgt ihn mit Sandwiches. Doch eines Tages, als die Polizei vor seiner Hütte auftaucht und er flieht, ist sie dann plötzlich auch verschwunden...

"Ich wollte nicht als Feigling gelten, wenn ich zurückkam. Aber ich hatte eine Königin und ich wusste schon jetzt, dass ich für sie alles tun würde, nicht weil ich es geschworen hatte, sondern weil ich Lust hatte."

Dieser Roman ist für mich ein sehr feiner, poetischer, gar niedlicher Ausflug mit einigen Längen. Shell und Viviane sind so wunderbar kohärente Charaktere, die jeweils sehr viel Raum für sich beanspruchen und auf ihre Art total liebenswert sind. Und so ist dieser Roman dann auch von den Charakteren bestimmt und weniger von der Handlung als solches. Leider kann Andrea das Niveau nicht durchgängig halten, zumindest hat sich der Mittelteil etwas gestreckt und ich verlor dadurch auch leider kurzzeitig meine Begeisterung. So habe ich dann an diesen gerade einmal 152 Seiten vergleichsweise auch recht lange gelesen. Das ist allerdings auch nicht sonderlich schlimm, denn das Ende hat alles wieder ausgeglichen. Jean-Baptiste Andrea liefert hier nämlich keine abgeschlossene, bis ins Detail ausformulierte Geschichte. Es bleibt noch ganz viel Spielraum für Fantasie übrig und gerade diese Möglichkeit macht's dann auch aus. Man sieht die beiden Hauptcharaktere vor dem inneren Auge und nimmt ihnen jedes Gefühl, jede Regung, Begeisterung... einfach ab. Meine Königin ist eine wirklich tolle Geschichte für alle, die noch das Kind in sich besitzen und vielleicht auch hin und wieder über ihren eigenen Schatten springen wollen.