Rezension

Aussergewöhnlich sorgfältig recherchiert - ein Ausnahmeathlet wird aus der Bahn geworfen

Unbroken (deutsch) - Laura Hillenbrand

Unbroken (deutsch)
von Laura Hillenbrand

Bewertet mit 5 Sternen

Da ich Bücher über Baseball mag, ist es nicht weiter verwunderlich, dass mich ein Buch über ein sportliches Ausnahmetalent in der Leichtathletik, ebenfalls angezogen hat. Zusätzlich ist Hillenbrands "Unbroken" das Lebensbild eines Menschen, der sich zum christlichen Glauben bekannte. Also las ich es ... doch, Überraschung! - was ich bekam, war weniger Sport als vielmehr japanische Kriegsgefangenschaft während des Zweiten Weltkriegs. Louis Zamperini, besagtes Laufwunder, dürfte nicht weniger überrascht darüber gewesen sein, welche ungewöhnliche Wendung sein Leben nahm, als er sich nach einer stürmischen Jugend endlich gefangen hatte und sich anschickte, Weltruhm zu erringen ...

Louis Zamperini (1917 bis 2014) war ein enfant terrible seiner Umgebung, und dies solange bis ihn sein älterer Bruder Pete zum Sport brachte und die Disziplin, die ihm das Laufen abverlangte, ihn auch geistig zur Ruhe brachte. Die Historie hat Louis Zamperini mehrmals eine Nase gedreht, so muss man schon sagen und ihm den Lebenserfolg verwehrt, der ihm als Ausnahmeathlet zugekommen wäre. 1936 bei der Olympiade in Berlin konnte er einen beachtlichen persönlichen Erfolg verbuchen, obwohl er kurz vorher von einer Kurzstrecke auf die Langstecke wechselte und eigentlich untrainiert war. Doch bei den nächsten Olympischen Spielen sollte sich dies ändern. Er war im Kommen. Er war ein Winner. Bestimmt zum Sieg. So der Plan. Dann brach der Krieg aus und warf ihn in andere Bahnen. Zuerst in den Himmel. Dann ins Wasser. Dann in die Hölle. Er wurde US-Flieger (B-24: Ausbildung zum Bomberschützer). Er wurde Kämpfer. Er wurde Mörder. Er wurde Opfer. Die Flieger starben ... wie Fliegen. Sie kämpften mit allerlei unzureichendem Material (Flugzeuge, Technik), mit dem schnell wechselnden unvorhersehbaren Wetter in der Karibik, mit der Start- und Landebahnlänge (viel zu kurz) und mit der Navigation (Norden-Bombsight-Zielgerät). „Siebzig Prozent der Gefallenen kamen bei Flugmanövern um, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit feindlichen Aktionen standen“. Zamperini überlebte alles. Erst aufgrund einer unglücklichen Verkettung von Umständen, die zu vermeiden gewesen wären, wurde er abgeschossen und fiel ins Wasser. Überlebte den Absturz.

Auf See vermisst, ist eigentlich dennoch ein Todesurteil. Sie sind zu dritt in einem Rettungsbootdoppel. 3000 km über das Meer. 46 Tage lang. Sie haben kein Wasser. Sie haben keine Nahrungsmittel. Sie werden beschossen und kämpfen mit Haien. Buchstäblich. Zwei von ihnen überleben dennoch. Louie und Phil. Und sie landen, abgemagert, dehydriert, in einer schlimmeren Hölle. In Kwajalein, der japanischen Exekutionsinsel.

Japanische Kriegsgefangenschaft war die Hölle! Zur Verdeutlichung zwei Auszüge aus dem Buch, was es bedeutete, in japanischer Gefangenschaft gelandet zu sein:

„Japan hat ... in einer Art und Weise gewütet und Grauen und Tod über die Region [Japans] gebracht, die jeder Beschreibung spottet. Inmitten dieser Raserei befanden sich die Kriegsgefangenen. Japan hielt rund 132 000 Kriegsgefangene aus Amerika, England, Kanada, Neuseeland, Holland und Australien fest. Von ihnen starben 36 000, also mehr als ein Viertel. Der Anteil der Amerikaner ist besonders hoch; von den 34 648 Amerikanern in japanischer Gefangenschaft starben 12 935, also mehr als 37 Prozent. Im Vergleich: nur 1 Prozent der Amerikaner, die als Kriegsgefangene von den Nationalsozialisten und den Italienern festgehalten wurden, starben. Japan ermordete Tausende von Gefangenen auf Todesmärschen und ließ zu, dass ebenfalls Tausende sich als Zwangsarbeiter zu Tode arbeiteten, dazu gehörten auch um die 16.000 Kriegsgefangene, die zusammen mit 100 000 asiatischen Arbeitern zum Bau der Eisenbahn Burma-Siam gezwungen wurden [wovon das anschliessend zu besprechende Buch „The Narrow Road to the Deep North handelt]. Tausende anderer Gefangener wurden erschlagen, verbrannt, erstochen oder totgeprügelt oder im Rahmen kannibalistischer Rituale bei lebendigem Leibe verzehrt. Und es starben weitere Tausende infolge einer völlig unzureichenden Ernährung mit verfaulten Lebensmitteln und verseuchtem Wasser an Unterernährung und an leicht vermeidbaren Krankheiten. Von den 2500 Kriegsgefangenen im Lager von Sandakan auf Borneo lebten im September 1945 nur noch 6; sie waren aus dem Lager geflohen. ... In Erfüllung des „Kill-them-all-Befehls“ massakrierten die Japaner sämtliche 5000 koreanischen Gefangenen auf Tinian, sämtliche Kriegsgefangenen auf Balale, Wake und Tarawa und alle bis auf 11 auf Palawan. Ganz offensichtlich waren sie im Begriff gewesen, tatsächlich alle Kriegsgefangenen und von ihnen festgenommenen Zivilpersonen umzubringen, als die Atombombe ihr Reich zermalmte. Am Morgen des 2. September 1945 unterzeichnete Japan seine offizielle Kapitulation. Der Zweite Weltkrieg war zu Ende.“ /S. 366

Louie überlebte Kwajalein. Und auch alle anderen Stationen, eine immer schlimmer als die vorherige. Das Kriegsende wird dagegen so beschrieben:

Für Louie waren es Tage einer Euphorie, wie er sie nie zuvor erfahren hatte. Er war zwar noch krank, ausgemergelt und schwach, doch er glühte vor Glück. Sein unbändiger Zorn auf diejenigen, die ihn festgehalten htten, war verraucht. Es ging ihm genau wie den anderen um ihn herum: Liebe für alle und jeden erfüllte ihn, er hätte die ganze Welt umarmen können. Nur der Gedanke an den Bird passte nicht ganz zu seinem Zustand.“ Der „Bird“ war einer jener sadistischen Zeitgenossen, die selbst für japanische Begriffe absolut bestialisch agierten.

Louie, obwohl traumatisiert, und obwohl er an seine früheren sportlichen Erfolge nicht mehr anzuknüpfen vermag, erlebt durchaus Glück: er heiratet seine Traumfrau Cynthia und hat Kinder. Doch die Kriegserlebnisse verfolgen ihn und er beginnt zu trinken. Ausserdem zermürbt ihn der Hass.

Wie Louie Zamperini schliesslich durch eine Predigt von Billy Graham, einem amerikanischen Evangelisten, zum christlichen Glauben durchdrang, sich versöhnen konnte mit seinen Feinden und innere und äussere Ruhe fand, das alles muss man selber nachlesen in dem fast 500 Seiten langen Epos „Unbroken“ von Laura Hillenbrand.

Diese von mir sehr verkürzte Schilderung von Zamperinis Leben, wird von Laura Hillenbrand ausführlich, klischeefrei, unpathetisch und eindrücklich vorgestellt, sie glänzt durch sorgfältige Recherche und durch die besondere Detailtreue und Detailfreude, auch bezüglich technischer Dinge, und wird allen jenen, die sich besonders für die Geschehnisse und Einzelheiten des Zweiten Weltkrieges interessieren, viel Material an die Hand geben. Die beiden Kapitel über die japanische Kriegsgefangenschaft gingen mir sehr unter die Haut!

Siegt nun das Leben? Siegt die Liebe? Die Liebe untereinander? Die Liebe Gottes? Bei mir herrscht das Entsetzen durchaus vor, nämlich, dass es trotz aller Erlebnisse und allem Wissen und trotz aller bewegenden Berichte niemals aufhört (siehe Krisengebiete): Homo homini lupus. Auch das im letzten Jahr gelesene Buch "Die niederen Himmel" von Anthony Marra, das ich nach wie vor jedem empfehle, gehört in diese Reihe.

Die Geschwister Zamperinis erlebten die Fertigstellung der Biografie ihres leidgeprüften Bruders zwar nicht mehr, begleiteten die Autorin davor aber im ständigen Gespräch.

Fazit: Ein erschütterndes Stück Zeitgeschichte, eine bewegende Biografie, eine grosse Schreiberin: Leseempfehlung!

Kategorie: Biografie // Verlag: SCM, 2014