Rezension

Bedrückend nah an der Realität

La Ballade de Lila K - Blandine Le Callet

La Ballade de Lila K
von Blandine Le Callet

Ein dystopischer Roman aus der Sicht eines traumatisierten Mädchens.

Zu Beginn des Romans wird die Ich-Erzählerin ihrer Mutter entrissen und – in ihren Augen – von der Regierung gequält. Sie kann weder sprechen, noch laufen, noch essen und hat panische Angst, fast schon Ekel, vor menschlichen Berührungen. Das Einzige, was sie leben lässt, ist der Gedanke an ihre Mutter. Man begleitet Lila, so heißt das Mädchen, als es wieder sprechen und essen lernt, versucht ihr Leben in den Griff zu bekommen, immer mit dem Ziel, ihre Mutter wieder zu sehen.

Ob ihr das gelingt und was überhaupt genau geschehen ist, erfährt man erst am Ende des Romans, daher verrate ich es hier nicht.

Dies war bereits mein zweiter Roman von le Callet. Während der Erste bitter-süß war, ist dieser schwerer Stoff. Viele Stellen sind beklemmend und schockierend. Eigentlich ist das überhaupt nicht das, was ich im Normalfall lese. Und das macht es für mich auch schwierig, viel über diese „Kerngeschichte“ zu schreiben. Ich kann nur sagen, dass sie mir erschreckend realistisch vorkam.

Die Welt beschreibt die Erzählerin für jemanden, der in ihr aufgewachsen ist. Das Bild bleibt so unvollständig, lässt aber den Eindruck einer dystopischen Welt zurück, in der jeder Schritt überwacht wird – für die Sicherheit und Gesundheit der Menschen. Außerhalb der sauberen, überwachten Innenstadt sind die Menschen jedoch zu einem großen Teil sich selbst überlassen. Der Roman spielt in Paris an der Wende zwischen dem 21. und 22. Jahrhundert und wirkt doch nahe an unserer Zeit. Er stellt große Fragen an Menschlichkeit, Genetik und Würde. Pränataldiagnostik und Überwachungskameras kommen uns bereits bekannt vor. Interessant ist, dass die Menschen offiziell in einer Demokratie und einem Rechtsstaat leben. Diese Welt regt zum Nachdenken an, ohne jedoch einen moralischen Zeigefinger zu heben. Es gibt auch Positives.

Fazit: Für mich war dieser Roman gerade bezüglich der Geschichte Lila Ks zu nahe an der Realität. Ihre Traumata und Ticks waren nachvollziehbar und ausführlich, zum Teil brutal beschrieben. Ihr Erwachsenwerden ein Kampf gegen sich selber und das System. Ich denke, dass das nicht schlecht gemacht wurde, aber ich mag solche Romane nicht. Die Welt jedoch gefiel mir. Gerade dieses Angedeutete, nicht genau Beschriebene lässt Platz für eigene Gedanken und Annahmen. Außerdem ist der Roman trotz des schweren Stoffes in der Struktur recht unkompliziert. Die meisten Vokabeln kann man sich aus dem Kontext erschließen. Das macht den Roman auch für LeserInnen, die Französisch nicht flüssig lesen können, erschließbar (ab B1 Niveau).