Rezension

Beeindruckende Einblicke...

Das siebte Kreuz - Anna Seghers

Das siebte Kreuz
von Anna Seghers

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser Roman, der zuerst 1942 in englischer Sprache, kurz darauf im mexikanischen Exilverlag El Libro Libre in deutscher Sprache erschien, machte die Autorin weltberühmt. Er wurde zu einem Bestseller. Der Stoff wurde 1942 in einer Comic-Fassung und in der Verfilmung des österreichischen Emigranten Fred Zinnemann 1944 in den USA populär, noch bevor der Roman seine Leser in Deutschland erreichte. Von allen Werken der Seghers ist er unumstritten das bekannteste. Er wendet ein populäres, in der trivialen Unterhaltungskunst gern benutztes Erzählmuster an: eine Fluchtgeschichte. Sieben Gefangene sind aus dem KZ Westhofen entflohen. Sie haben die längst und eindeutig gegen sie entschiedene Machtfrage neu gestellt. Mit ihrer Flucht unterlaufen sie ihre Ohnmacht und nehmen für ihre Selbstbehauptung äußerste Bewährungsproben ihrer physischen und psychischen Kräfte auf sich. Aber nur einem von ihnen gelingt die Flucht. Sie habe mit dieser Fluchtgeschichte, sagte Anna Seghers, die Struktur des ganzen Volkes aufrollen wollen. Aus der Perspektive des sozialen Romans schafft sie die bedeutendste analytische Darstellung der nationalsozialistisch formierten Gesellschaft. Der Roman zerlegt die Motive der funktionierenden Mitmacher, der kalkulierenden Karrieristen, der eingeschüchterten früheren Oppositionellen, der Funktionsträger des Regimes und derjenigen, die dem Flüchtling helfen. Das Nachwort zur Entstehung und zur Rezeption macht deutlich, inwiefern Anna Seghers versuchte, einem Weltzustand, den sie keineswegs beschönigt, so etwas wie eine Hoffnung abzutrotzen, und wie das Gelingen des Romans damit zu tun hat, daß die Suggestion der Hoffnung ständig ihre Widerlegung mit sich führt.

Sieben gekuppte Platanen auf dem "Tanzplatz" des Konzentrationslagers Westhofen sind durch Querbalken als Folterkreuze für sieben aus dem Lager geflohene Häftlinge hergerichtet. Sechs Männer müssen ihre Flucht bald mit dem Leben bezahlen. Nur dem Mechaniker Georg Heisler gelingt es, den Verfolgern zu entkommen.
Nach vielen gefährlichen Tagen der Flucht aus dem großen Gefängnis, das Deutschland in den Tagen der Hitlerherrschaft war, findet er den Weg in die Freiheit. Das siebte Kreuz im Lager Westhofen bleibt leer...

Dieses Buch, das kurz vor dem zweiten Weltkrieg im Exil entstand, machte Anna Seghers weltberühmt. Es sprach für Deutschland in einer Zeit, als sonst fast nur mit Abscheu von Deutschland gesprochen wurde.
Die Passion des ungekreuzigten Heisler ist ein Volksbuch, das aus dem durch Hitler erneuerten Mittelalter herausfinden hilft. "Wir fühlten alle", heißt es am Schluss, "wie tief und furchtbar die äußeren Mächte in den Menschen hineingreifen können, bis in sein Innerstes, aber wir fühlten auch, dass es im Innersten etwas gab, das unangreifbar war und unverletzbar."

Anna Seghers legt hier kein einfach zu lesendes Buch vor. Der althergebrachte Schreibstil erschwert einen Einstieg in die Geschichte, die oftmals bedrückend erscheint. Wenn man sich aber darauf einlässt, erkennt man, wie gut es Anna Seghers gelungen ist, die Situation der damaligen Zeit bis ins Kleinste zu skizzieren. Sie zeichnet ein ausgesprochen vielschichtiges Portrait der Lebenswirklichkeit im Dritten Reich, wobei es selten "schwarz" und "weiß" gibt, was es um so bedrückender macht.
Die Situation der Fliehenden verlangt von jedem Einzelnen, der damit in Berührung kommt, eine Gewissensprobe. Seien es Mitläufer, überzeugte Nazis, Antifaschisten im Geiste, ehemalige Freunde oder zufällige Begegnungen - jeder erkennt angesichts der Situation, dass er sich für oder gegen etwas entscheiden muss. Ob Georg Heisler auf seiner Flucht jemandem vertrauen kann oder nicht, entscheidet sich im Kontakt selbst - es gibt keine Sicherheit, für niemanden. Alle möglichen Folgen wollen da von jedem einzelen überdacht werden - Folgen meist nicht nur für einen persönlich, sondern eben auch für sein Umfeld, Ehefrau und Kinder... Zweifel, Gewissen, Überzeugungen, Menschlichkeit, Ängste sind zentrale Themen dieses Romans.

Durch den ständigen Wechsel der Perspektiven gelingt es Anna Seghers, ein mehrdimensionales Bild der damaligen Zeit zu zeichnen und den Leser zu einem zwar unbeteiligten Zeitzeugen zu machen, doch das ein oder andere Mal fragt man sich beklommen, wie man sich selbst in der Situation verhalten hätte. So mancher, der Georg Heisler auf seiner Flucht begegnet, entscheidet sich erst in dem Kontakt zu ihm, teilweise von sich selbst überrascht oder enttäuscht.
Wie einfach ist es, aus heutiger Sicht im Brustton der Überzeugung zu sagen: "Das könnte mir nicht passieren". Nach der Lektüre dieses Buches teile ich diese Überzeugung nicht mehr. Für niemanden. Und das ist eine erschütternde Erkenntnis.

Dennoch ist das Buch letztlich auch ein Symbol der Hoffnung. Gerade dieses letzte Kreuz, leergeblieben - nicht nur für die Mithäftlinge ein Zeichen, sich nicht aufzugeben und an das zu glauben, das im Innersten unangreifbar und unverletztbar ist, egal was geschieht.

© Parden