Rezension

Beeindruckende Ostergeschichten

Osteraugen - Raphael Müller

Osteraugen
von Raphael Müller

Bewertet mit 5 Sternen

„...Vielleicht lag es daran, dass Menschen häufig nur das wahrnehmen, was ihrer Überzeugung nach möglich sein kann. Ein Auferstandener, der spazieren läuft, passte schlicht noch nicht ins Konzept..."

 

Das Buch enthält 20 Ostergeschichten und 5 Ostergedichte. Beides ist entsprechend der Chronologie des Geschehens geordnet. Die erste Geschichte hat den Palmsonntag zum Inhalt, den Abschluss bildet das Gedicht „Ja, Jesus lebt“

Die Erzählungen unterscheiden sich nicht nur im Inhalt, sondern auch im Schriftstil. Ich möchte erst einmal beim Inhalt bleiben. Es kommt fast jeder der Personen zu Wort, die in das damalige Geschehen involviert waren. Dabei gelingt es dem Autor, eine völlig neue Sicht auf manche der Personen zu kreieren. Das beste Beispiel ist Judas, der nicht geahnt hat, das sein Wollen und das Ergebnis seines Handelns zwei völlig verschiedene Sachen sein werden. Auch Malchus, der Söldner des Hohepriesters, fragt sich, ob sein Hohepriester wirklich der integere Mann ist, für den er sich immer ausgibt. Auffallend ist, dass alle, die an der Verurteilung beteiligt waren, danach ein heftiges seelisches Unbehagen verspürten.

Doch der Autor lässt nicht nur Personen zu Wort kommen. Zwei der Geschichten spielen in der Gegenwart. Während die Pilgerströme durch die heiligen Stätten wandern, unterhalten sich die Pflastersteine und in einer weiteren Erzählung die Bäume im Garten Gethsemane über das damalige Geschehen. 2000 tausend Jahre sind für sie ja kein Problem. Sie haben es hautnah erlebt.

Auch tiere dürfen Protagonisten sein. So fragt sich in der ersten Geschichte ein kleiner esel, ob es in seinem Leben einmal etwas Besonderes geben wird.

Wie schon erwähnt, werden die Geschichte auf völlig eigene Art erzählt. So gibt es Erzählungen, die sich durch ihren feinen Humor auszeichnen. Ein Zitat gefällig?

 

„..Eine römische Wache schläft nicht..."

 

Andere Geschichten haben einen sehr ernsten Grundton, so zum Beispiel als Maria und Petrus das Geschehen auf ihre Art reflektieren. Häufig nutzt der Autor kurze, aber aussagekräftige Gespräche, um sein Anliegen zu verdeutlichen. Manches ist des Nachdenkens wert. Obiges Zitat ist eine mögliche Antwort auf die Frage, warum die Emmausjünger Jesu nicht erkannt haben. Eines aber ist allen Geschichten gemeinsam. Es sind Geschichten im ersten Teil der Hoffnung, im zweiten der Freude.

Die Gedichte haben alle eine pyramidenförmige Form. Sie werden erst von Zeile zu Zeile länger, danach nimmt die Wortzahl wieder ab. Sie sind berührend und inhaltsreich und treffen genau den Punkt des Geschehens.

Doch nicht nur die Texte, auch die aussagekräftigen Illustrationen machen das Buch zu etwas Besonderen. Jede ganzseitige Schwarz-Weiß-Zeichnung zwischen zwei Erzählungen passt perfekt zum Thema, sei es die Dornenkrone, das Felsengrab oder die weiße Taube.

Das in Gelb- und Brauntönen gehaltene Cover mit den Kreuzen auf dem Hügel und dem Bild des Autors im unteren Teil wirkt edel.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ermöglicht eine vielfältige Sicht auf das Ostergeschehen.