Rezension

Bellboy oder: Wie man die zehn Gebote bricht

Bellboy oder: Ich schulde Paul einen Sommer - Jess Jochimsen

Bellboy oder: Ich schulde Paul einen Sommer
von Jess Jochimsen

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Roman über Freundschaft und Zusammenhalt

Nach Kurzgeschichten-Sammlungen und kurzen Satire-Texten ist dies der erste Roman von Jess Jochimsen.

Der Protagonist Lukas hat mit seinem Leben in der Provinz abgeschlossen und ist sang- und klanglos nach München verschwunden. Hier beginnt er ein Studium, das er ebenso schnell wieder abbricht. Zu Beginn des Romans arbeitet er als Glöckner und Aushilfs-Kantor in einer evangelischen Kirche, dessen schwuler Pfarrer kifft und anstatt eines Gottesdienstes lieber ein Rockkonzert abhält. Nebenbei beglückt Lukas die Mütter seiner Nachhilfe-Schüler und ist eigentlich recht zufrieden mit seinem Leben. In diese, nennen wir es mal Idylle, platzt Paul herein – Lukas' Cousin aus der alten Heimat. Er kann sich nicht mehr erinnern, was genau er von Lukas wollte, nur dass es wichtig war. So beginnt der Sommer mit Paul. Bald findet Lukas heraus, dass Paul an einer Form von Demenz leidet, was das Zusammenleben der beiden nicht unbedingt einfacher macht.

Als Liebhaber von Großstädten rechnet Lukas hier mit dem Landleben ab. Durch Rückblenden in seine Kindheit und Jugend bekommt der Leser einen Eindruck in das, was Lukas zum Weggehen bewegt hat. Dennoch kommt das an manchen Stellen etwas hart rüber, werden doch alle, die auf dem Land leben, als „Provinztrottel“ beschrieben, die sich geitig auf einem ganz anderen Niveau als ein Städter befinden.

Obwohl nicht die Protagonisten, sind Charaktere von Paul und Stevie, dem schwulen Pfarrer, sehr liebevoll gezeichnet – fast schon interessanter als Lukas.

Geistig ist es nicht anspruchsvoll, dennoch mit Humor und auch Tiefgang geschrieben und es lässt sich so sehr flüssig lesen. Durch die berührende Geschichte um Paul regt das Buch den Leser jedoch nicht nur zum lachen, sondern auch zum Nachdenken an. Jess Jochimsen nutzt hier nicht den Kitsch, um das Thema Demenz anzusprechen, sondern den Witz, weshalb das Buch anderen themenidentischen Medien weit voraus ist.