Rezension

Berührend, poetisch, verletzend und doch wunderschön!

Aufstieg und Fall großer Mächte - Tom Rachman

Aufstieg und Fall großer Mächte
von Tom Rachman

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch hat mich euphorisch, nachdenklich, glücklich und ein wenig traurig zurückgelassen. Eine ungewöhnliche Lebensgeschichte, mit all ihre Schattenseiten und Geheimnisse, aber auch der Gewissheit, dass nichts in Vergessenheit gerät und sich manche Rätsel des Lebens, eben erst zur richtigen Zeit lüften.

Inhalt

Toolys Leben wurde geprägt von den vielen unterschiedlichen Menschen, die ihr begegneten; die sie beeinflussten und sie manipulierten. Dabei verlor sie sich unweigerlich in den vielen Schnipseln ihrer undurchsichtigen Vergangenheit - doch mit einem Mal, holt diese sie ein, nämlich in Form einer Nachricht, die ihr ein alter Freund zukommen lässt und in der er sie bittet, mit ihm über ihren Vater zu sprechen.

Von da an, beginnt für Tooly nicht nur die Suche nach ihrem Vater, sondern auch nach den Antworten, die ihr das Leben und die Menschen in ihm, bis dahin schuldig waren. 

"Aufstieg und Fall großer Mächte" war das erste Buch, welches ich von Tom Rachman gelesen habe. Umso mehr freute ich mich darauf - vorallem da mich die positiven Stimmen zu seinem ersten Roman "Die Unperfekten" neugierig gemacht hatten.

Ich habe mich sofort in die überwältigende Sprache, mit der Tom Rachman seiner Geschichte eine unnatürliche Tiefe schenkt, verliebt. Der Leser erlebt, beflügelt von den poetischen Worten, eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Die häufigen Szenenwechsel trieben mir abwechselnd vor Lachen oder vor Entsetzen die Tränen in die Augen.

Aber von vorn:

Der Leser begleitet Tooly durch verschiedene Zeitabschnitte ihres Lebens. Dazu gehört die Gegenwart, in der sie zusammen mit ihrem verschrobenen Angestellten Fogg den Buchladen "World's End" betreibt; Toolys Kindheit, unter anderem mit ihrem Vater Paul, der sie entführte und nun mit ihr durch die halbe Welt reist; und schließlich ihre Jugend, in der sie mit einem Jura-Studenten und dessen Freunden in einer WG lebt.

Die schnellen Wechsel zwischen diesen Abschnitten, sind anfangs zwar etwas gewöhnungsbedürftig, doch verliehen sie - mit ihren kleinen Cliffhangern - der Geschichte eine fesselnde Spannung, die die annähernd 500 Seiten geradezu dahinfliegen ließen.

Vorallem die ersten Kapitel warfen mehr Fragen und Rätsel um Toolys Vergangenheit auf, als dass sie Antworten gaben.

Warum hat sie ihr Vater damals entführt und was ist aus ihm geworden? Wo ist Venn, der Liebhaber ihrer chaotischen Mutter Sarah und welches Geheimnis hütet der brummige Russe Humphrey, der ihr so viel beibrachte und stets eine schützende Hand über sie hielt?

Auf all diese Fragen soll Tooly am Ende eine Antwort erhalten und dabei die Gelegenheit bekommen, endlich mit ihrer Vergangenheit abzuschließen.

Die Sprache ist bezaubernd, wortgewaltig, berührend und poetisch. Selten habe ich mir in einem Buch so viele Zitate markiert; so viele Absätze angestrichen, damit auch ja nichts davon mit der Zeit verloren geht! Auch wenn "Aufstieg und Fall großer Mächte" vom Niveau der Sprache sicherlich keine Bettlektüre ist, so kann ich doch mit Gewissheit sagen, dass ich dieses Buch ganz bestimmt ein zweites Mal lesen werde. Ganz nach der Kritik von Christopher Buckley (New York Times Review) auf dem Buchdeckel: "So gut, dass ich es zweimal lesen musste, einfach, um zu begreifen - wie er das zustande gebracht hat [...]"

Die Charaktere sind allesamt fantastisch dargestellt. Tooly, die als kleines Mädchen so stark manipuliert wurde und als erwachsene Frau endlich ihren eigenen Weg findet. Venn, der exzentrische Großkotz, der in der Vergangenheit stets wie ein Heiliger über den Dingen zu schweben schien, mit der Zeit allerdings seinen Glanz verliert. Der griesgrämige Russe Humphrey, der Tooly auf seine kauzige Art und Weise die Welt und die Politik erklärt und eine besondere Vorliebe für Bücher und "Schachaktivitäten" hegt. Die wilde und anarchische Sarah, die als Mutter auf ganzer Linie versagt hat und Paul, dessen Beweggründe Tooly zu entführen erst später deutlich werden. Sie alle sind mir während des Lesens ans Herz gewachsen, die einen mehr, die anderen weniger. Nicht ein einziges Mal hatte ich das Gefühl, die Geschichte könnte unglaubwürdig oder oberflächlich sein und ich war begeistert von der Wandlung, die all diese Charaktere über die Jahre hinweg vollzogen haben.

Fazit

Dieses Buch hat mich euphorisch, nachdenklich, glücklich und ein wenig traurig zurückgelassen. Ich durfte eine ungewöhnliche Lebensgeschichte kennenlernen, ihre Schattenseiten und Geheimnisse, aber auch die Gewissheit, dass nichts in Vergessenheit gerät und sich manche Rätsel des Lebens, eben erst zur richtigen Zeit lüften. Jeder, der sich für eine poetische Erzählweise und ausschweifende Handlungen begeistern kann, sollte dieses Buch lesen! Vorallem Humphreys Weltanschauungen ("Erst, wir brauchen kahlköpfigen Führer. Danach haarigen. Kahl, dann haarig. Zar Alexander II. hatte Glatze. Dann Nicholas II., der hatte Haare. Danach kommt Lwow. Kahl wie Gurke. Dann Kerensky. Jede Menge Haar.[...]") haben mich des Öfteren zum Schmunzeln gebracht und auch Toolys naiv-kindliche Art, als sie klein war, ist herzerweichend!

Ich bin begeistert!