Rezension

Berührender Roman mit wunderbarem Humor

Die Listensammlerin - Lena Gorelik

Die Listensammlerin
von Lena Gorelik

Bewertet mit 4.5 Sternen

Sofia ist als Kleinkind mit russischer Mutter und Großmutter und deutschen Stiefvater aus Russland nach München gezogen. Diese Umsiedlung scheint recht Hals über Kopf geschehen zu sein. Seitdem wird über diese Zeit in der Familie nicht gesprochen. Auch über ihren leiblichen Vater, der kurz davor zu Tode gekommen ist, weiß Sofia nur bruchstückhaftes. Zu Mutter und Oma verbindet sie eine sehr enge, liebevolle, aber auch problematische Beziehung, ihrer Umwelt gilt sie ein wenig als Außenseiter, verschroben, leicht neurotisch. Seit ihrer Kindheit versucht sie das Chaos der Welt und ein Stück weit ihres Lebens dadurch Herr zu werden, dass sie es in Form von Listen ordnet. Listen über alles mögliche, z.B. Dinge, die sie über ihren Vater weiß, Ideen für neue Buchanfänge - sie ist Schriftstellerin - oder auch einfach nur für Hundenamen oder Tomatengerichte. Diese Listen geben ihr Halt gerade auch in schwierigen Situationen. Und die Situation in der sie sich befindet ist mehr als schwierig. Ihrer kleine Tochter, nur mit halbem herzen auf die Welt gekommen, steht eine vielleicht lebensrettende, aber auch lebensgefährliche Operation bevor. Genau zu diesem Moment verschwindet ihre demenzkranke Großmutter spurlos aus dem Pflegeheim und sie findet Hinweise auf einen Onkel Grischa, der bisher wie das ganze russische Leben der Mutter totgeschwiegen wurde. Kein Wunder, dass sich Sofia mehr und mehr in ihre Listen vergräbt.

Der Leser gewinnt Einblick in diese warmherzige, wenn auch etwas chaotische Familie durch Sofia. Sie erzählt in einer lockeren, manchmal fast schnodderigen Sprache mit einem enormen Maß an Selbstanalyse, Selbstkritik und Ironie. Sie nimmt das Leben schwer, rechnet stets mit der schlimmeren Möglichkeit, verliert aber nie den Humor. So gehen Melancholie und Witz immer Hand in Hand. In einer zweiten Zeitebene erfahren wir von Grischas Leben. Er war der ältere Bruder der Mutter, charmant, beliebt, bis er zum Dissident wurde, zum Abweichler im Sowjetsystem, der schließlich verhaftet, verurteilt und letztendlich von der Familie verlassen wurde. Eine Schuld, die Sofias Mutter vergeblich zu verdrängen versuchte.

Ein Buch, dass sich aufgrund seiner tollen, schnörkellosen, zärtlichen und humorvollen Sprache wunderbar liest und den Leser nachhaltig beschäftigt, da es sich mit wichtigen Dingen beschäftigt, dem Chaos des Lebens, der Angst, dem Tod, dem Rückhalt, den Familie geben kann, aber auch dem Schuldigwerden an ihr und den Möglichkeiten dieses Chaos zu bewältigen.