Rezension

Beten für Fortgeschrittene

Rees Howells -

Rees Howells
von Norman P. Grubb

Bewertet mit 4 Sternen

"Eine riesige Ermutigung in Zeiten von Corona!" steht als Zusatz auf dem Cover. Aber es ist mehr als eine Ermutigung. Es ist eine Herausforderung.

Ich hatte von Rees Howells noch nie etwas gehört. Nur von seinem Motto:

Ich suchte einen Mann unter ihnen, der eine Mauer bauen und vor mir für das Land in den Riss treten könnte ... (Hesekiel 22.30)

Rees Howells war ein einfacher Bergmann aus einem walisischen Dorf, der unter dem Einfluss der Erweckungsbewegung in Wales zu einem christlichen Fürbitter und Heiler wurde und viele Gleichgesinnte um sich scharte. 1915 ging er mit seiner Frau für mehrere Jahre nach Afrika, wo seine Missionsbewegung großen Zulauf hatte. In dieser Zeit brach die spanische Grippe über die Welt herein und machte auch vor dem Missionswerk des Ehepaars Howells nicht Halt. Allerdings gab es in ihrer Krankenstation, anders als im Umland, keine Toten, Anlass genug für die umliegenden Stämme, alle ihre Infizierten zu Rees Howells zu schicken, damit sie am Leben blieben. Viele von ihnen bekehrten sich anschließend zum Christentum. Man hört heute viel von übergriffiger Missionsarbeit auf anderen Kontinenten, aber dies hier - finde ich schön und großartig. Meinem Eindruck nach lebte Rees Howells auf diese Weise vor, wie wahre Mission geht.
Zurück in Wales, gründete Howells 1924 das Bibel College in Swansea, von dem während des 2. Weltkrieges starke Gebetsimpulse zum Schutz Großbritanniens ausgingen.

In diesem Buch geht es also um wirksames Gebet, ein Thema, das mich schon viele Jahre beschäftigt, daher war es für mich persönlich besonders spannend. Trotz einiger Punkte, die ich heikel fand, entdeckte ich erstaunlich viele in die Tiefe gehende Parallelen zu dem christlichen Heilen, das ich gelehrt worden bin, und ich habe viel aus dieser Lektüre gelernt. Ich rate allerdings zur Vorsicht. Hanspeter Nüesch, der ein ausführliches Vorwort beigesteuert hat, tut dies auch. Es gibt Stellen, die sind für unbedarfte Leser nur schwer erträglich, für mich waren sie es auch; später verstand ich ein bisschen, warum der Werdegang des Protagonisten so extrem verlaufen ... musste? Ja, vielleicht. Erst als ich las, wie Rees Howells so vielen heilend die Hände aufgelegt hatte und seine Hände dann betrachtete, um sich zu überzeugen, dass sie normal waren, begriff ich, warum seine jahrelange Vorbereitung so extrem verlaufen war, mit so vielen, eigentlich unzumutbaren Demütigungen, und wieso es zuvor darum gegangen war, „das weltlich Ich“ so grundlegend abzulegen. Wie leicht kann ein religiöser Führer dem Größenwahn verfallen, wenn durch ihn so viel sichtbares Heil geschehen ist. Rees Howells entging dieser Falle. Aber die Gefahr ist natürlich, seinen Lebensweg, der einzigartig ist, eins zu eins auf den eigenen Werdegang übertragen zu wollen. Solchermaßen missverstanden, könnte das Buch durchaus Glaubensextremisten ganz anderer Art hervorbringen. Es könnte aber auch großen Segen bringen, wenn man es behutsam durchforstet. Ich begann schon bald, mir beim Lesen Punkte herauszuschreiben, die für mich relevant waren. Und das waren viele.

Die Freundin meiner Großmutter berichtete einst, eine Bekannte habe einer Engländerin gegenüber Verwunderung darüber geäußert, dass das britische Heer bei Dünkirchen so mysteriös verschont wurde, obwohl die Deutschen es in der Hand gehabt hätten, sie vernichtend zu schlagen. Darauf die Engländerin: „Ja wissen Sie nicht, dass ganz England damals auf den Knien gelegen hat?“ Vor diesem Hintergrund fand ich es sehr berührend, Rees Howells Gebetstagebuch über die Fürbitte des Bibel Colleges für Dünkirchen zu lesen. Ich hätte mir nur gewünscht, dass die historischen Ereignisse kurz dazu skizziert worden wären; nicht jeder hat die Eckdaten genau im Kopf.

Immer wieder geht es Rees Howells darum, im Gebet „eine höhere Position zu gewinnen.“ Das warf in unserer Leserunde zu diesem Buch die Frage auf, ob es verschiedene Stufen des Christseins gibt. Eine Teilnehmerin meinte, solche vorauszusetzen, wäre sektiererisch. Wenn es solche Stufen aber doch gibt, dann bewegt sich Rees Howells auf einer höheren derselben, und dieses Buch leichtfertig und unerfahren zu lesen, muss tatsächlich „brandgefährlich“ sein, wie es Hanspeter Nüesch im Vorwort dieser Ausgabe nennt. Deswegen wage ich, das Buch eine Lektüre für fortgeschrittene Christen zu nennen. Und durchaus eine bahnbrechende.