Rezension

Bewegende Lebensgeschichte

Ein ganzes Leben
von Robert Seethaler

Bewertet mit 5 Sternen

"Ein ganzes Leben" verspricht Seethaler, und dieses Versprechen hält er: Kurz und prägnant erzählt er vom Leben des Andreas Egger, der als Waise zu Verwandten in ein Bergdorf kommt, hier aber nicht als Familienmitglied aufgenommen wird, sondern als kindlicher Knecht, der nur Arbeit und Prügel kennen lernt. Andreas spricht nicht viel und das bleibt sein ganzes Leben lang so. Als Erwachsener kann er sich wehren und geht danach seinen eigenen Weg. Völlig auf sich gestellt baut er sein Leben als Hilfsarbeiter auf. Dabei erlebt er auch Liebe und es ist ihm Glück vergönnt, das aber nicht lange anhält. Sein weiteres Leben ist von Arbeit gezeichnet; der Krieg und eine jahrelange Gefangenschaft sind für ihn nur ein kurzes Intermezzo. 

Ein langes Leben, das nach außen hin nicht reich an Ereignissen ist - doch könnte man das auch anders sehen: Ein anderer Charakter hätte seine Erfahrungen als Schicksalsschläge gedeutet. Was hätte man aus Kindesmisshandlung, Unterdrückung, lebensgefährlicher Arbeit, Liebe, Unglück und Krieg für einen Roman machen können! Doch Eggers nimmt alles hin, er trägt alles mit sich selbst aus. Dieser Stoiker sieht sich nicht als Mittelpunkt, und Seethaler wird in seinem trockenen Stil seinem Hauptcharakter absolut gerecht. Diese Übereinstimmung von Form und Inhalt ist überzeugend. Und für mich als Leser bleibt der Eindruck: Warum nehme ich meine kleinen Wehwehchen und Problemchen eigentlich so wichtig?